Licht und
Schatten: Im Suhrkamp Verlag erschien soeben mit MUND VOLL ZUNGEN (245 S.,
suhrkamp taschenbuch 4183, Reihe NEWGOTHIC, Band 2) der erste ins Deutsche
übersetzte Roman des amerikanischen SF-Autors Paul Di Filippo. Und anstatt diesem erstklassigen
Science-Fiction-Roman ein passendes „Cyberpunk ist tot – es lebe
der Ribofunk!“-Label (am besten in Giftgrün) aufzukleben, oder
wenigstens ein sattes: „»Die Welt als pornographisches Lachkabinett!« Arno Schmidt“
auf den hinteren Deckel zu drucken, versucht man in Berlin alles, um dem Leser
den Einstieg zu erschweren. Nachdem man den Ekel vor dem unsäglichen
Titelbild (und die Abneigung gegen den elitär-großkotzigen
Untertitel) überwunden hat, muss man sich erst noch durch ein (gottlob
kurzes) Vorwort von NEWGOTHIC-Herausgeber Dietmar
Dath kämpfen, bevor man in Di Filippos Zukunftswelt eintauchen darf. MUND
VOLL ZUNGEN erweist sich dann als sprachgewandte und ideenreiche
Weiterentwicklung erzähltechnischer New Wave-Experimente a la Philip Jose Farmer und Samuel R. Delany, die es vor mehr als
vierzig Jahren unternahmen, der ach so prüden Science Fiction mit ein
wenig Fleischeslust und Körperflüssigkeitsaustausch ins
„wirkliche Leben“ zu verhelfen. Di Filippos sprachgewaltige Erzählung
über geldgeile Pharmakonzerne, menschliche Ausschweifungen, die
Unterschiede zwischen urbaner Verwahrlosung und tropisch-natürlicher, ausufernder
Sexualität, ist eine desillusionierte Zukunftsschau, die uns inzwischen
(der Roman erschien in den USA bereits 2002) fast eingeholt hat. Paul Di
Filippo gehört gegenwärtig zu den interessantesten amerikanischen
Autoren, dass man ihn jetzt hierzulande kennen lernen kann, ist das Verdienst
von Dath/Suhrkamp – dass dies nicht ganz einfach ist, allerdings auch.
Mit der Ausgabe
1/2011 (= Heft 41) eröffnet das nach wie vor einzigartige Genre-Magazin phantastisch! (Haveman
Verlag, www.phantastisch.net) seinen
inzwischen 11. Jahrgang. Die optischen Akzente setzt diesmal das
außergewöhnliche Coverbild von Michael
Marrak; im Inneren herrscht die für phantastisch! typische Themenvielfalt. Neben zwei Kurzgeschichten
von Uwe Post und Martin Rump gibt es drei Interviews mit
den bisher in Deutschland kaum bekannten Künstlern Brett Helquist, Alyson Noël
und John A. Lindqvist sowie
ausführliche Artikel über die Zukunft des Buches, die Deus Ex
Machina-Problematik in der SF und die Frage, ob Kindesmissbrauch in Tolkiens
Werken eine Rolle spielt. Dazu kommen Portraits von Guy N. Boothby, Voltaire
und William Burroughs sowie Berichte
aus der Film- und Comic-Welt und jede Menge Kurz-Nachrichten und Rezensionen.
Wie immer: Empfehlenswert!
FAZ: „ Ihr Output ist ziemlich eklektisch. Berlin-Popliteratur, Kurzgeschichten, Jugendroman, Thriller …“
Herrndorf: „Als Nächstes liegt hier ein Konzept für Science-Fiction rum.“
FAZ: „Ist das Sportsgeist? Oder Langeweile?“
Kathrin Passig interviewt Wolfgang Herrndorf in der FAZ
vom 29. Januar 2011