Letzter Aufruf zum sinnlosen
Geldverprassen in diesem Jahr in unserer beliebten Rubrik „The Best of the
Rest“, mit einem guten halben Dutzend Bücher, die es bisher nicht in den
Newsletter „geschafft“ hatten.
Angeführt wird diese Aufzählung
ganz „natürlich“ vom zweiten monumentalen Paukenschlag, mit dem sich Shaun Usher seinen Platz auf unserem
jahresendzeitlichen Lesepult sichert. Es handelt sich um eine Sammlung von
Notizen, Aufzeichnungen, Zetteln – oder einfacher gesagt, von Listen – die den
beziehungsreichen Titel 1. LISTS 2. OF 3. NOTE: AUFZEICHNUNGEN, DIE DIE WELT
BEDEUTEN (Heyne, ISBN 978-3-453-27000-8, 344 S.) trägt. Wie schon im Vorläufer
LETTERS OF NOTE (2014) vergrub sich Herausgeber Usher in die Archive und
Nachlässe mehr oder weniger bekannter Menschen und Institute und trug so, eins
zwei drei, insgesamt 123 Listen zusammen, die von den zehn guten Vorsätzen für
den Tag, die Johnny Cash sich
notierte, bis zur Einkaufsliste tibetischer Mönche aus dem zehnten Jahrhundert
reichen. Gleichermaßen interessant fand Usher die Liste von Schauspielern, mit
denen Marilyn Monroe ins Bett
wollte, die mehr als 150 Umschreibungen, die Benjamin Franklin fürs Betrunkensein kannte und die Überlebenstipps
für Frauen im Musikbusiness von
Rocksängerin Chrissie Hynde. Unsere
besondere Aufmerksamkeit galt den 19 Prophezeiungen, die Robert A. Heinlein 1953 über die Zukunft der Menschheit absonderte
und dem umfangreichen Zentrum des Buches: 222 „unheimliche Ideen“, die H. P. Lovecraft zwischen 1919 und 1935
in sein (durch Alan Moores
PROVIDENCE-Comic erst kürzlich prominent vorgeführtes) „Kollektaneenbuch“
eintrug. So wird aus 1. LISTS 2. OF 3. NOTE ein unerschöpflicher Quell der
Weisheit, der Wahrheit und des (Listen-)Wahnsinns.
Nicht ganz so „groß“ im Format und im Anspruch, aber genauso
liebevoll „gemacht“, ist die Neuausgabe von Antoine de
Saint-Exupérys
Jahrhundertbuch DER KLEINE PRINZ (Insel, ISBN 978-3-458-20017-8, 107 S.), das
in der Reihe der Insel-Bücherei in der Übersetzung von Peter Sloterdijk und illustriert von Nicolas Mahler erschienen ist. Im Vergleich zu der über sechzig
Jahre alten Version des Rauch Verlags wirkt die Sprache deutlich zeitgemäßer
und die Bilder von Mahler wirken sehr eigenständig, ohne die Vorlagen des
Originals ganz „über Bord zu werfen“. Sicher mehr als einen Blick wert und eine
echte Alternative zur bisherigen Fassung.
Und
gleich noch ein All-Age-Teil: Der Comic-Künstler Craig Thompson, bekannt geworden durch BLANKETS (2003) und HABIBI
(2011), hat einen farbenfrohen, humorvollen und großartige Wimmelbilder
enthaltenden Science-Fiction-Comic vorgelegt, der unter dem Titel
WELTRAUMKRÜMEL (ISBN 978-3-95640-052-0) bei Reprodukt erschienen ist. Das 300
Seiten starke Buch erzählt davon, dass auch Superhelden-Väter hin und wieder
die Unterstützung ihrer Töchter benötigen – also auch noch ein echtes
„Trostbuch“ für den Nachwuchs.
Etwas
länger auf dem Stapel der ungelesenen Meisterwerke verbrachte Kevin Barrys düster-melancholische
Zukunfts-Historie DUNKLE STADT BOHANE (Tropen, ISBN 978-3-608-50145-2, 300 S.),
in welcher der irische Autor über den unvermeidlichen Generationen- und
Machtwechsel innerhalb der kriminellen Elite einer zeitlosen Stadt am Rande der
Welt schreibt. Dabei ist es vor allem die von Bernhard Robben hervorragend übersetzte Sprache in der Barry seine
Protagonisten über ihre Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit sinnieren lässt,
die diesen Roman auszeichnet. Natürlich denkt man sofort an James Joyce und andere Sprachkünstler,
aber solche Vergleiche haben weder Kevin Barry noch BOHANE nötig.
Noch
etwas länger hat es gedauert, bis 2014 endlich DAS HAUS DER VERGESSENEN BÜCHER
(Atlantik, ISBN 978-3-455-60012-4, 255 S.) von Renate Orth-Guttmann ins Deutsche übersetzt wurde. Der
amerikanische Autor Christopher Morley
(1890–1957) hat seinen Roman um ein New Yorker Antiquariat in dem es „spukt“
bereits 1919 in den USA veröffentlicht, doch sein menschenfreundlicher Humor,
seine Liebe zu Büchern und zu den Menschen, die mit ihnen als Leser, Händler
und Sammler umgehen, lassen das Werk immer noch sehr lebendig und frisch
wirken. Aufgrund dieser Qualitäten und der damit einhergehenden
Mund-zu-Mund-Propaganda erschien dann in diesem Jahr auch eine Neuausgabe des
Vorläufer-Romans EINE BUCHHANDLUNG AUF REISEN (Atlantik, ISBN
978-3-455-60023-0), der bereits 1951 seinen ersten, leider folgenlos
gebliebenen, Auftritt in Deutschland hatte. Darin zieht der Antiquar vor seiner
„Häuslichwerdung“ mit Pferd und Bücherwagen übers Land und erlebt so manch
skurriles Abenteuer beim Erwerb und Verkauf alter Bücher. Zwei Werke, die der
„Entschleunigung“ mehr als förderlich sind – zwei gute Bücher.
Wenn
wir schon bei Zeitreisen, schönen alten Büchern und Musestunden in gesunder
Landluft sind, darf an dieser Stelle wohl auch auf ein Werk hingewiesen werden,
welches seinesgleichen in diesem Jahr nicht hatte: Das Buch erschien erstmals 1890
unter dem Titel NEWS FROM NOWHERE, sein
Verfasser war der Künstler, Designer, Sozialist und Autor William Morris. Nachdem die Erstausgabe als preiswerte Broschüre in
großer Zahl unters Lesevolk gebracht war, gönnte sich der Besitzer der
Kelmscott Press eine auf 300 Exemplare limitierte Prachtausgabe, die zu den
wohl schönsten Büchern gehört, die jemals hergestellt wurden. Die Folio
Society, die neben den sowieso schon hervorragend gemachten „Normalausgaben“
ihrer Bücher auch noch nur für Mitglieder erhältliche, limitierte
Vorzugsausgaben einzelner Titel im Programm hat, lieferte im Dezember eine
allgemein zugängliche Faksimile-Ausgabe von NEWS FROM NOWHERE aus, die
qualitativ jedoch die Anmutung einer Vorzugsausgabe besitzt. Das beginnt beim
Papier und der Fadenheftung, geht über in den zweifarbigen Druck und die
perfekte Widergabe des Inhalts und endet noch lange nicht beim dunkelgrünen
Ganzledereinband, der reichen Goldprägung und dem dreiseitigen Goldschnitt. Wer
einmal in seinem Leben ein wirklich perfektes Buch in seiner Sammlung haben
möchte, kann dies nun für einen erstaunlich günstigen Preis verwirklichen –
Lieferung allerdings nur solange der Vorrat reicht.
Allen Leserinnen und Lesern dieses Newsletters wünscht
die Redaktion
ein frohes Fest
und
einen guten Start ins neue Jahr 2016.
Herrmann Ibendorf
„Du bist
jederzeit ein Genie“
Jack Kerouac – „Glaubensbekenntnis“;
in: 1. LISTS 2. OF 3. NOTE (S.146)