Ein solcher Monumental-Foliant wird sonst nur den allergrößten
Literaturklassikern gewidmet: Die von dem amerikanischen Rechtsanwalt und
Literaturwissenschaftler Leslie S.
Klinger herausgegebene „große kommentierte Ausgabe“ von H. P. LOVECRAFT – DAS WERK (Fischer TOR,
ISBN 978-3-596-03708-7) übertrifft alles, was es hierzulande bisher an Werk-, Auswahl-, Sammel- und Einzelbänden
von Howard Phillips Lovecraft (1890 –
1937) gegeben hat. Zwar sind (entgegen den Erwartungen, die der Titel
vielleicht weckt) „nur“ 22 Erzählungen Lovecrafts enthalten, doch bilden diese
den Kern des von Klinger so bezeichneten „Arkham-Zirkels“ und damit das
Gravitationszentrum des Gesamtwerks. Das Besondere und Einzigartige dieses
trotzdem über 900 Seiten starken Buches im Riesenformat von 26 x 23 cm sind die
Kommentare und Anmerkungen Klingers zu den Geschichten. Minutiös,
detailverliebt und treffsicher annotiert Klinger, was sich einer Erklärung
anbietet: Erläuterungen altertümlicher und seltener Wörter (die HPL gerne
benutzt), Parallelstellen in Geschichtstexten und Quellensuche im umfangreichen
Briefwechsel, biografische Hintergründe, Zeitbezüge, Anknüpfungspunkte an
literarische und philosophische Vorbilder usw. Um seine Anmerkungen zu belegen,
verwendet Klinger auch eine Vielzahl an Karten, Fotos, Illustrationen, darunter
auch Faksimiles aus Lovecrafts Manuskripten, Briefen und Notizbüchern. Um die
notwendige Übersichtlichkeit zu erhalten, sind die Kommentare in rot in einer
zweiten Spalte neben den Haupttext gesetzt. Da die Bildbeigaben jedoch oftmals
spaltenübergreifende Größe besitzen, haben viele Seiten die Anmutung eines
Kunstwerks, was den optischen Reiz des Buches nochmals deutlich steigert.
Insgesamt acht Anhänge runden das positive Gesamtbild ab, darunter ein von
Lovecraft selbst verfasster „Stammbaum der Älteren Rassen“, das Verzeichnis des
Lehrkörpers der Miskatonik Universität, bibliografische Auflistungen von
Lovecrafts Werken und seinen Überarbeitungen für andere Autoren. Und ganz
speziell für die deutsche Ausgabe haben die beiden Übersetzer Andreas Fliedner und Alexander Pechmann noch eine kurze
Abhandlung über „Lovecraft im deutschen Sprachraum“ verfasst. H. P. LOVECRAFT –
DAS WERK ist ab sofort der unverzichtbare Grundstein einer jeden
Lovecraft-Sammlung!
Fast ebenso spektakulär ist die
zweibändige Biografie H. P. LOVECRAFT – LEBEN UND WERK (Golkonda, ISBN
978-3-944720-51-7, 734 Seiten) von S. T.
Joshi, deren erster Band (ebenfalls von Andreas Fliedner übersetzt) soeben erschienen ist. Joshi, der
weltweit führende Fachmann, wenn es um den amerikanischen Sonderling aus
Providence geht, hat dieses Werk erstmals 1996 (in gekürzter Form)
veröffentlicht, bevor er 2010 dann seine überarbeitet, verbesserte und
ungekürzte 1500 Seiten-Fassung herausbrachte. Der erste Band reicht von 1890
bis 1924 und nimmt vor allem die Wurzeln Lovecrafts und seine frühen
Schreibversuche unter die Lupe. Das Buch, obwohl nicht illustriert, ist optisch
und haptisch ein Genuss: Das Layout, das Susanne
Beneš (aka „benswerk“) für Schutzumschlag und Bucheinband maßgeschneidert
hat, ist ebenso „stimmig“ wie der von Hardy
Kettlitz erstellte Satz lesbar – und die zwei goldgelben Lesebändchen
machen die Sache einfach wunderschön rund. Wie fragt Michael Siefener in seiner Vorbemerkung in Bezug auf Lovecrafts
Bedeutung als Autor phantastischer Literatur so schön provokativ: „… braucht
man deshalb gleich eine zweibändige Biografie über ihn?“ Seiner umgehend
erfolgenden Antwort ist unbedingt beizupflichten: „ja.“
Eines der schönsten Bücher, das ich
seit langem in die Hand bekommen habe, ist die von Reinhard Kleist mit vielen Vignetten und ganzseitigen
Schwarzweiß-Bildern illustrierte Neuausgabe des 1962 erstmals veröffentlichten Ray Bradbury-Gruselklassikers DAS BÖSE
KOMMT AUF LEISEN SOHLEN (ISBN 978-3-8489-2098-3, 350 Seiten), der in der
Übersetzung von Norbert Wölfl soeben
im Hamburger Aladin Verlag erschienen ist. Als eines Nachts ein unheimlicher
Wanderzirkus in die amerikanische Kleinstadt Greenhorn kommt, erwartet die
beiden Freunde Jim und Will das Abenteuer ihres jungen Lebens. Nicht nur die
Schausteller verhalten sich merkwürdig, auch Mister Dark, der Direktor, hütet
ein tödliches Geheimnis. Dass Greenhorn am Ende noch einmal davonkommt, ist
einzig dem Mut von Will und Jim zu verdanken – aber das Böse fordert von ihnen
einen schrecklichen Tribut … Nicht nur zu Halloween ein totsicherer Lese-Tipp!
Pünktlich wie immer bringt die Ausgabe
68 der phantastisch! (Atlantis) den 17. Jahrgang zu einem großartigen
Abschluss. Das Herzstück ist der 2. Teil des H. G. Wells-Artikels von Horst Illmer, von dem auch die
Würdigung der Friedenspreisträgerin Margaret
Atwood ist. Andere Glanzpunkte setzen die Interviews mit Wesley Chu, Rachel Kahn und J. P. Black
sowie Artikel über neue Bücher (Uwe
Anton über ein neues SF-Lexikon) und alte Bräuche (Achim Schnurrer über Halloween). Olaf Brill tritt gleich dreimal an: Er ergänzt den Wells-Teil mit
einer Betrachtung über alte und neue Comic-Adaptionen, schaut sich Luc Besons „Valerian“ an und ist als
Autor für die 28. Folge des exklusiven phantastisch!-Comics „Ein
seltsamer Tag“ (Bilder von Michael Vogt)
verantwortlich. 80 Seiten Informationen rund um das tollste Genre der Welt –
weiter so!
Wie schon mehrfach
an dieser Stelle erwähnt, hat H. G.
Wells derzeit mal wieder Hochkonjunktur. Außer den Nachrucken der „üblichen
Verdächtigen“ (DIE ZEITMASCHINE, KRIEG DER WELTEN) gibt es glücklicherweise
auch einige deutsche Erstveröffentlichungen zu melden. So ist zum Beispiel in
der Edition Phantasia TOMMYS ABENTEUER (ISBN 978-3-947122-01-1, Pappband im
Schuber) erschienen, das einzige Bilderbuch, das Wells geschrieben und
gezeichnet hat. Der EP-Verleger Joachim
Körber hat das Werk übersetzt und das Layout gestaltet (die 50 Seiten sind
auf hochwertigem Kunstdruckpapier gedruckt, die Bindung erfolgte nach
klassischem japanischem Vorbild als Blockbuch), von Horst Illmer stammt das Nachwort. Wer H. G. Wells einmal von einer
ganz anderen Seite kennenlernen will, sollte hier zugreifen.
„Was ich mit der
Zusammenstellung dieses Buches bezwecke, ist im Grunde einfach: Ich möchte das Vergnügen, Lovecraft zu lesen, mit einer größeren
Leserschaft teilen als der, die er bisher hatte.“
Leslie S. Klinger – „Zu dieser Ausgabe“, in: H. P. LOVECRAFT –
DAS WERK. (S. 68)
„Doch wenn Lovecraft dachte, dass 1924 ein hartes Jahr für ihn gewesen
sei, dann nur, weil er noch nicht wusste, was 1925 auf ihn zukommen sollte.“
S. T. Joshi – Cliffhanger/letzter Satz in: H. P. LOVECRAFT – LEBEN UND WERK (1)
„Ja, ich kann tatsächlich aufrichtig sagen, dass ich wahrscheinlich das
kürzeste und hässlichste Unterwäschemodel der Welt gewesen bin.“
Wesley Chu im Interview mit Dirk Berger, phantastisch! Nr. 68 (S. 54)
„Er spielte mit mehr Herzlichkeit und Anmut
als fast alle anderen Erwachsenen oder Kinder, die ich jemals getroffen habe.“
Gladys B.
Stern,
zitiert in: H. G. Wells – TOMMYS ABENTEUER (S.
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