Vor gut zehn Jahren, im Januar 2010,
erschien EREBOS, jener utopische All-Age-Thriller, mit dem die 1968 in Wien
geborene Autorin Ursula Poznanski
ihre Bestsellerkarriere startete. Im August 2019 kam nun die Fortsetzung,
EREBOS 2, in die Buchhandlungen. Auch die Handlungszeit ist zehn Jahre weiter
und aus den Jugendlichen sind junge Erwachsene geworden, die versuchen, die
schrecklichen Erlebnisse von damals zu vergessen. Doch dann meldet sich das
Computerspiel plötzlich wieder – und es scheint inzwischen sehr viel klüger zu
sein, als ein normales Spiele-Programm …! Der Loewe Verlag zeigt sich
sammlerfreundlich und spendiert zum Veröffentlichungstermin eine schön
aufgemachte, limitierte Hardcoveredition mit eingedruckter Autorensignatur in
Goldprägung (und dazu eine passende Neuauflage von Band 1). Spannende,
actionreiche Unterhaltung mit einigen wenigen Science-Fiction-Elementen.
Wenn es ein Buch gibt, das es
wert ist, eine eigene „Biografie“ zu bekommen, dann ist das NINETEEN
EIGHTY-FOUR von George Orwell.
Anlässlich des siebzigsten Jahrestags der Erstveröffentlichung hat der
englische Journalist Dorian Lynskey
diese Aufgabe übernommen. Sein Sachbuch THE MINISTRY OF TRUTH (Picador, 350 S.)
ist fast so spannend geschrieben wie ein Roman. Lynskey erzählt den Lebenslauf
Orwells nach, dann stellt er eine Vielzahl von früher veröffentlichten utopischen
Werken vor, u. a. von Edward Bellamy,
Jewgeni Samjatin, Arthur Koestler, Aldous Huxley und H. G. Wells. Zentral sind die letzten zehn Jahre Orwells, in denen
er mit ANIMAL FARM und 1984 zwei der wirkmächtigsten Bücher des 20.
Jahrhunderts schrieb. Daran schließen sich Betrachtungen über die
Rezeptionsgeschichte in Politik, Kultur, Literatur, Film, Kunst und Musik an.
THE MINISTRY OF TRUTH« ist damit eines der beeindruckendsten Sekundärwerke der
letzten Jahre.
Dicht gefolgt – in der Reihenfolge
beeindruckender Orwell-Bücher – wird Lynskeys Buch von der monumentalen
Comic-Biografie GEORGE ORWELL (Knesebeck,
ISBN 978-3-95728-154-8, 160 S.) von Pierre
Christin (Text) und Sébastien
Verdier (Bilder). Die beiden Franzosen erzählen in ausdrucksstarken Bildern
(und unterstützt von Kollegen wie Bilal
oder Juanjo Guarnido) das Leben des
Engländers Eric Blair auf seinem Weg
zum weltberühmten Autor George Orwell.
Die überwiegend in schwarzweiß gehaltenen Bilder werden an mehreren Stellen
durch Farbseiten unterbrochen, auf denen die sechs Gast-Illustratoren Orwells
Bücher vorstellen. Aber auch Verdier lässt es sich nicht nehmen, ein paar
kleine aber bedeutungsvolle Farbspritzer hinzu zu fügen. Eine sehr
empfehlenswerte Bild-Biografie.
Wir alle haben es uns ja schon immer
gedacht, aber jetzt ist es sicher: Das eigentliche Problem des Buchhändlers
sind seine Kunden! Allerdings sind wir wohl auch die Lösung für die anderen
Probleme („Geld, Geld und Geld“, wie Otto
so schön sagt). Nachlesen lässt sich das alles in dem sehr vergnüglich
geschriebenen TAGEBUCH EINES BUCHHÄNDLERS (btb, ISBN 978-3-442-71865-8, 450 S.,
kartoniert) des schottischen Antiquars Shaun
Bythell. Bythell, der seit 2001 mit „The Bookshop“ die größte
Gebrauchtbuchhandlung Schottlands führt, hat schon fast alles erlebt. Seine
kurzen, knappen, aber immer treffsicheren Tagebucheinträge zeigen das Leben in
einer Buchhandlung so exemplarisch, dass man sich bei der Lektüre ständig dabei
ertappt, zu rufen: „Genau!“, „Hab ich letzte Woche erst gesehen“, oder, fast
noch schlimmer, „Mach ich selbst auch andauernd“. Das Taschenbuch eignet sich
vorzüglich als „Klo-Lektüre“ oder für den täglichen Weg zur Arbeit, da die
Einträge meist nur ein oder zwei Seiten lang sind. Und für die
Hardcore-Buchhandlungs-Besucher steht an jedem Monatsbeginn ein Zitat von George Orwell.
So lasst uns jubilieren und Freudenlieder
singen: Die beliebteste Science-Fiction-Serie der letzten Jahrzehnte, die in
den USA VORKOSIGAN-Saga genannte, bei uns unter dem Obertitel BARRAYAR-Zyklus veröffentlichte
Space Opera von Lois McMaster Bujold
hat Zuwachs bekommen. In der Subterranean Press erschien soeben die knapp 100
Seiten kurze Novelle THE FLOWERS OF VASHNOI (ISBN 978-1-59606-892-6,
Hardcover), in der Miles Vorkosigans Gattin Ekaterin die Hauptrolle spielt und
gemeinsam mit einem Biologen in einer Sperrzone auf Barrayar wissenschaftliche
Feldforschung betreibt. Die Geschichte ist zeitlich nach CAPTAIN VORPATRIL’S
ALLIANCE (2012, keine deutsche Ausgabe) einzuordnen, lässt sich jedoch auch als
unabhängige Abenteuergeschichte lesen (es hilft allerdings, wenn man schon mal
in einen anderen Band der Serie reingelesen hat). Der umlaufende Schutzumschlag
von Jenn Ravenna passt zum leicht
und schwebend daherkommenden Inhalt.
Bereits 2017 erschienen ist DER KANON
MECHANISCHER SEELEN (Amrun, ISBN 978-3-95869-257-2, Hardcover) von Michael Marrak. Dieser über 700 Seiten
starke Roman fand zwar seinen Weg in die Sammlung, nicht aber aufs Lesepult.
Bis – ja, bis mir ein lieber Mensch das dazugehörige, ungekürzte Hörbuch
ausgeliehen hat. Bereits nach den ersten Minuten war mir klar, dass ich hier
ein echtes Juwel übersehen hatte. Das Schöne an Büchern ist aber, dass sie das
nicht übel nehmen und trotzdem sofort willig zur Verfügung stehen, wenn man sie
dann doch lesen mag – jedenfalls die Bücher in meinen Regalen. Bei den Büchern
in Marraks KANON sieht das schon ganz anders aus. Je nachdem, welcher „Wandler“
sie „beseelt“ hat, bzw. welches Schicksal ihnen widerfahren ist, können die
Dinger ganz schön ungemütlich werden. Der Autor, der auch als Illustrator
hervorgetreten ist, hat fast ein Vierteljahrhundert an diesem Opus Magnum
geschrieben. Einzelne Ideen fanden ihren Ausdruck in Novellen oder
Kurzgeschichten, die zwischenzeitlich in Magazinen veröffentlicht wurden und
den Lesern den Mund wässrig machten. Eine dieser „Keimzellen“ des Romans, steht
auf TOR-online.de zur kostenlosen Lektüre bereit. Es war jedoch die, nur bei
Audible erhältliche, von Hörbuch Hamburg produzierte und von Stefan Kaminski gelesene (ach was:
gelesen, das ist mit absoluter Sprachartistik vorgetragene Rezitationskunst!)
Hörbuchfassung, die mir 21 Stunden lang das allerhöchste Vergnügen bereitete.
Kaminski, der ausgezeichnet z. B. Frank
Schätzings DER SCHWARM oder die Romane von Patrick Rothfuss und Kevin
Hearne eingelesen hat, übertrifft sich hier einfach selbst. (Gleich
mehrfach fühlte ich mich an die Meilenstein-Lesungen der Moers’schen ZAMONIEN
Bücher durch Dirk Bach erinnert.) Völlig
zu Recht hat Marrak mit DER KANON MECHANISCHER SEELEN im Jahr 2018 den
Publikumspreis SERAPH und den Kurd Laßwitz Preis für den besten Roman gewonnen.
„In einer Stadt wie London gibt es immer eine Menge nicht amtlich
registrierter Geistesgestörter auf den Straßen, und diese werden gewöhnlich von
Buchhandlungen magisch angezogen; denn eine Buchhandlung ist einer der wenigen
Orte, an denen man lange Zeit herumlungern kann, ohne Geld auszugeben.
Schließlich erkennt man diese Leute schon fast auf den ersten Blick. Bei all
ihrem großen Gerede wirken sie irgendwie mottenzerfressen und ziellos.“
George Orwell, in: Bythell – TAGEBUCH
EINES BUCHHÄNDLERS (S. 164)
„Amerikanische Comics (widerlich). Wer wollte ein Kind großziehen
und ihm unerschrocken diese bunten Comic-Hefte geben, in denen unheimliche
Wissenschaftler in versteckten Labors Atombomben herstellen, während Superman
zwischen den Wolken hindurchfliegt und Gewehrkugeln an seiner Brust abprallen
wie Erbsen, oder wo platinblonde Frauen von Robotern aus Stahl und 15 Meter
langen Dinosauriern vergewaltigt werden.“
George Orwell, in: Christin & Verdier – GEORGE ORWELL (S. 106)