Seit
dem Erscheinen des Romans DAS MINISTERIUM FÜR DIE ZUKUNFT ist Kim Stanley Robinson dem Ghetto der
Science Fiction endgültig entwachsen und in der Mitte der literarischen
Diskussion über die Zukunft der Menschheit angekommen. In den letzten Jahren
erschienen von ihm so herausragende utopische Zukunftsentwürfe wie AURORA, NEW
YORK 2140 und ROTER MOND. Der 1952 geborene Robinson und der gleichaltrige
Didaktiker und Umweltaktivist Fritz
Heidorn sind seit vielen Jahren befreundet. Das bisher schönste Ergebnis
dieser Beziehung ist das in Zusammenarbeit mit dem Klimahaus Bremerhaven entstandene
Buch KIM STANLEY ROBINSON – ERZÄHLER DES KLIMAWANDELS (ISBN 978-3-949452-31-4,
320 S.), das, neben zehn Kurzgeschichten Robinsons, einen umfangreichen
biografischen Essay Heidorns, Interviews, eine Bibliografie und zusätzlich
Informationen über das erstaunliche „Klimahaus“-Projekt in Bremerhaven enthält.
Großes Lob gebührt dem Hirnkost Verlag für die herausragend liebevolle
Buchgestaltung. Nicht nur der zweifarbige Druck, das ausgeklügelte Design und
das Eisberg-Titelbild erfreuen Hand und Auge, auch die feste Bindung und das Lesebändchen
sorgen dafür, dass man KIM STANLEY ROBINSON – ERZÄHLER DES KLIMAWANDELS immer
wieder gerne zur Hand nimmt.
Ich
kenne und liebe Kurt Vonneguts Roman
SCHLACHTHOF 5 seit vielen Jahrzehnten, habe ihn immer mal wieder zur Hand
genommen, und betrachtete den Hinweis auf eine Visualisierung via Bildergeschichte
mit etwas zwiespältigen Gefühlen. Nun, nach der Lektüre der Graphic Novel
SCHLACHTHOF 5 ODER DER KINDERKREUZZUG (Cross Cult, ISBN 978-3-96658-504-0, 200
S.), für deren Skript der Kanadier Ryan
North verantwortlich zeichnet und deren Bilder vom Spanier Albert Monteys stammen, überwiegt die
Erleichterung: Dieses Buch war ein Monument seit es 1969 erschienen ist – und
es ist ein monumentaler Comic daraus geworden! Autor und Zeichner nehmen sich
viel Raum und „übersetzen“ Vonneguts Text gekonnt und respektvoll ins Medium
Comic. Beachtlich ist dabei, dass sie nicht nur die, auch bei Vonnegut schon
vorhandenen, plakativen Szenen von Sex, Gewalt und Alien-Exotik in den Vordergrund
stellen und so billige Effekthascherei betreiben, sondern ihren Protagonisten
Billy Pilgrim ebenso geduldig wie liebevoll auch dann begleiten, wenn er
sinnend im Bett liegt, Patienten in seiner Praxis untersucht, mit
Geschäftsfreunden langweilige Partys feiert oder geduldig die besorgten
Vorwürfe seiner Tochter über sich ergehen lässt. SCHLACHTHOF 5 war schon immer
mehr als „nur“ ein Anti-Kriegsbuch, ein Science-Fiction-Roman oder eine
satirische Zustandsbeschreibung der menschlichen Rasse: Vonneguts Text ist ein
Meisterwerk – und die Graphic Novel von North und Monteys wird dem absolut
gerecht. Die Transformation in ein anderes Medium ist geglückt und so wird SCHLACHTHOF
5 ODER DER KINDERKREUZZUG nicht nur Menschen erfreuen, die das Original noch
nicht kennen, sondern auch allen anderen Vergnügen beim „Wieder-Lesen“
bereiten.
Ab
einer bestimmten Größe werden Städte lebendig und suchen sich dann Avatare
unter ihren Bewohnern aus, die als Stellvertreter für sie sprechen und handeln.
Ausgestattet mit mystisch-magischen Fähigkeiten (ähnlich den
Superhelden-Kräften von Comic-Figuren) müssen diese gegen mächtige und uralte
außerweltliche Feinde kämpfen, welche die Gelegenheit eines
Generationenwechsels dazu nutzen wollen, aus ihrer Dimension in unsere zu wechseln
und hier Fuß zu fassen, einen Brückenkopf für eine Invasion zu errichten. Als
nun in New York gleich mehrere neue „Wächterinnen“ ihre Ämter in den fünf
Stadtbezirken übernehmen, mehren sich die Zeichen, dass der Feind diese
Situation ausnutzen will. Und noch während die fünf Avatare versuchen, sich in
ihren neuen Rollen zurechtzufinden, beginnen die ersten Angriffe … N. K. Jemisin ist eine der
auffälligsten neuen Stimmen der US-amerikanischen Phantastik und hat in den
letzten Jahren Genre-Preise abgeräumt wie keine Zweite. In Deutschland erschien
zuletzt die Trilogie DIE GROSSE STILLE bei Knaur. Ihren neuesten, wieder
allseits hochgelobten Roman DIE WÄCHTERINNEN VON NEW YORK (ISBN
978-3-608-50018-9, 540 S.) hat sich nun der Tropen Verlag gesichert, wo der
Titel in der Übersetzung von Benjamin
Mildner als Hardcover erschienen ist. Auch wenn der von einigen Kritikern
gezogene Vergleich zum wohl berühmtesten New York-Buch MANHATTAN TRANSFER von John Dos Passos vielleicht etwas
überzogen ist, so finden sich neben mehr oder weniger deutlichen
Querverbindungen zu Alan Moores
WATCHMEN-Comic und den Erzählungen eines H.
P. Lovecraft bei aller Modernität auch Anspielungen auf Walt Whitmans Lyrik und Mark Twains Humor. Der
Urban-Fantasy-Roman DIE WÄCHTERINNEN VON NEW YORK steht auch im erzählerischen
Werk von Jemisin noch singulär da, als erster Teil einer neuen Trilogie stellt
er jedoch vollumfänglich zufrieden.
Nicht viele
Science-Fiction-Autoren weltweit können das Vorweisen: Eine Werkausgabe
inklusive des Briefwechsels, diverse Supplement-Bände mit Tagebüchern,
fotografischen Arbeiten und Multimedia-Beilagen, eine Gesamtauflage von über
einer Millionen Büchern, Faksimile-Ausgaben der Hauptwerke, limitierte
Einzelausgaben mit Illustrationen der besten zeitgenössischen Künstler, eine
monumentale „Bild-Biografie“ mit Dokumenten seines Lebens, dutzende Hörbücher,
gelesen vom Autor und anderen herausragenden Sprechern, mehrere Meter
Sekundärliteratur, eine eigene Stiftung, eine literarische Gesellschaft – und
jetzt endlich, etwas mehr als vierzig Jahre nach seinem Tod 1979, die
langerwartete und -ersehnte BIOGRAFIE! Die Rede ist – natürlich – von Arno Schmidt und von Sven Hanuschek, der bei Hanser soeben
den 1000-Seiten Wälzer ARNO SCHMIDT – BIOGRAFIE (ISBN 978-3-446-27098-5)
vorgelegt hat. Der Philologe und Canetti-Herausgeber Hanuschek lehrt an der LMU
in München und hat sich, als »Fan der ersten Stunde« bewusst einige Jahrzehnte
Zurückhaltung auferlegt, bevor er sich an die Mammutaufgabe machte, das Leben
dieses sperrigen Schriftstellers nachzuvollziehen. Schmidt hat als freier Autor
gleich nach der Gründung der Bundesrepublik begonnen und die politische und
gesellschaftliche Entwicklung in beiden deutschen Staaten als aufmerksamer und
eigensinniger Kommentator begleitet. Seine Bücher sorgten für Skandale, waren
Kult-Lektüre der 68er-Generation und setzten Maßstäbe sowohl im Stilistischen
wie im Umfang. Dass sein eigenes Leben, das er für einigermaßen „unspektakulär“
hielt, dann doch genug Material für so einen „Türstopper“ liefern würde, hätte
Schmidt selbst wohl am meisten erstaunt.
Und
– gerade rechtzeitig zum „Welttag des Buches“ – hat es der Atlantis Verlag
geschafft, die neueste, 86. Ausgabe von phantastisch!
Das Magazin für Science Fiction, Fantasy & Horror an die Abonnenten und
Verkaufsstellen auszuliefern. Das 80-Seiten-Heft beschäftigt sich diesmal
ausführlich mit „Frauen im Weltall“, den Comic-Künstlern Shigeru Mizuki und Terry
Moore, dem umstrittenen Autor Charles
Platt sowie jeder Menge Neuerscheinungen, die (mehr oder weniger) kritisch
unter die Lupe genommen werden. Hervorzuheben sind zudem noch die zwei Stories
von Madeleine Puljic und Götz Roderer und die Interviews mit Peter Nuyten und Herbert Genzmer. Wieder mal ein überzeugendes, rappelvolles Heft!
Zu
guter Letzt: Die Londoner Folio Society schaffte es, ihre inzwischen vierte
(diesmal auf 1000 Exemplare limitierte) Ausgabe von J. R. R. Tolkiens THE LORD OF THE RINGS (mit mehr als 100
Illustrationen von Alan Lee)
innerhalb von 36 Stunden auszuverkaufen. Einige Exemplare schafften es trotz
Brexit über den Kanal. J
„Wir
leben in einem großen Science-Fiction-Roman, den wir alle gemeinsam schreiben.“
Kim Stanley Robinson in: Robinson/Heidorn – ERZÄHLER DES
KLIMAWANDELS (S. 33)