Na also: Immer noch deutlich vor Jahresende und in der
inzwischen gewohnten Klappenbroschur mit den astronomischen Aufnahmen auf
Vorderdeckel und Rücken liegt DAS SCIENCE FICTION JAHR 2023 (Hirnkost, ISBN 978-3-98857-033-8, 620
S.) vor mir. Auch diese inzwischen 38. Ausgabe des Almanachs wurde von Melanie Wylutzki und Hardy Kettlitz zusammengestellt und wie
immer kann es sich sehen lassen, was die 38 Beitragenden im letzten Jahr so
alles gelesen, gesehen, geschrieben, gehört, gespielt und gesammelt haben.
Natürlich gibt es wie immer die großen Abteilungen mit Übersichten über die Bücher,
Filme, Hörspiele, TV-Serien, Comics und Spiele, dann die Statistik-Ecke mit
Nachrufen, Preisen und der Bibliografie. Speziell in diesem Jahr gab es das
„Feature“ mit „Alternativer Geschichtsschreibung“ und „Pazifismus“, und aus
gegebenem Anlass einen Schwerpunkt zum Tod von Herbert W. Franke. Mir ganz besonders gefallen hat diesmal der
Essay „Die Schönheit des Unterschieds. Ursula K. Le Guin und die Ethnologie“
von Guido Sprenger, der damit knapp
vor den Artikeln über Philip K. Dick
bzw. Eric Frank Russell, bzw. H. G. Wells lag. Und da ich den Rest
erst im Lauf der nächsten Monate lesen werde, kann sich das auch noch
verschieben …
So direkt in die Augen geschaut hat mir schon lange kein
Umschlagbild mehr: Das Cover der Ausgabe 47 von EXODUS (Eigenverlag, November 2023, 120 Seiten), dem Magazin für
„Science Fiction Stories & Phantastische Grafik“, stammt von Ingo »Krimalkin« Lohse (dem auch die
„Galerie“-Abteilung gewidmet ist, diesmal inklusive eines 4-Seiten-Comics) und
zeigt eine ganze Schar von Gesichtern, aus denen das einer Astronaut*in
hervorleuchtet, deren Blick direkt auf mich (bzw. die betrachtende Person)
gerichtet ist. Klasse Einstieg in ein Heft voller guter Geschichten (u. a. von Christian Endres, Peter Schattschneider,
Wolf Welling und Yvonne Tunnat),
großartiger Illustrationen (u. a. von Lothar
Bauer, Mario Franke und Jan Hoffmann)
sowie Comics, Cartoons und etwas Lyrik zur Abrundung. Aus dem Editorial der
Herausgeber René Moreau, Heinz
Wipperfürth und Hans Jürgen Kugler
geht hervor, dass EXODUS in dieser
halbprofessionellen Form inzwischen auch schon zwanzig Jahre hinter sich hat.
Gratulation und gute Wünsche für die nächsten Dekaden!
Mein guter Freund Zufall stieß mich bei
Korrektur-Lese-Arbeiten auf ein Sachbuch, das – wohl vor allem wegen seines
Titels – sicher auch vielen sonst daran Interessierten bisher entgangen sein
dürfte: Das HANDBUCH DER PLANETEN (Fanpro, ISBN 978-3-946502-03-6) von Gunther Barnewald. Erst der Untertitel
„Reiseführer durch die Welten von Jack Vance“ führt den Blick in die richtige
Richtung. Es handelt sich nicht um ein Hilfsmittel zur Astronomie, sondern um
ein 270 Seiten starkes Kompendium zu Leben und Werk des US-amerikanischen
SF-Großmeisters Jack Vance – im
Format DIN A4 und mit einem Vorwort von Denis
Scheck! Aufgeteilt in 16 Kapitel betrachtet Barnewald jede Story und jeden
Roman, inklusive pseudonymer Werke, gibt einen biografischen Abriss und
versucht in mehreren Essays eine literaturgeschichtliche Einordnung. Ergänzend
angefügt ist ein umfangreiches Interview mit Vance, und in der Abteilung
„Anhänge“ finden wir Zeittafeln, Bibliografien, Personen- und Titelregister.
Mit diesem Buch haben deutschsprachige Vance-Fans und -Forscher endlich ein
Standardwerk zur Verfügung, das keine Wünsche mehr offen lässt.
Ein klein wenig verwundert dürfen wir uns schon die Augen
reiben: Dass DIE PRIZESSINNEN von Christian
Endres, dessen Romane und Erzählungen wir seit Jahren schätzen und
empfehlen, jetzt tatsächlich zu einem „heimlichen Hit“ des frühen 3.
Jahrtausends geworden sind, spricht dafür, dass Christian den Zeitgeist voll
getroffen hat und zwar trotz, oder sogar wegen, der ungewöhnlichen
Protagonistinnen und der bewusst flapsigen Erzählweise. Nach dem Erstling (FÜNF
GEGEN DIE FINSTERNIS, April 2023) verlangten Publikum und Verlag nach mehr –
und der Meister lieferte: DIE PRINZESSINNEN – HELDEN UND ANDERE DÄMONEN (cross
cult, ISBN 978-3-98666-422-0) ist vor einigen Tagen erschienen. Diesmal steigt
der Erzähler voll ein, keine Spielchen mehr, es geht auf der ersten Seite los
und hört bis Seite 488 nicht mehr auf: Action, Gemetzel, schräge Sprüche, mehr
oder weniger tiefsinnige Gespräche, ein Held, der langsam alt wird und deshalb
Leibwächterinnen braucht, Zauberer, Dämonen, Drachen – manchmal macht die
Geschichte den Eindruck, Versatzstücke aus allen jemals geschriebenen
Heroic-Fantasy-Abenteuern zu zitieren, aber dann überdeckt der Autor die
Schnittstellen mit viel Blut und noch mehr eigenen Ideen und alle sind wieder
zufrieden. Außer Mef, Narvila, Aiby, Cinn oder Decanra, denn mindestens eine
der PRINZESSINNEN hat ja immer was zu maulen …
Na super: Offenbar sind DIE PRINZESSINNEN so erfolgreich,
dass selbst deutsche Bestseller-Autoren wie Marc-Uwe Kling nicht mehr anders können, als auf den Zug
aufzuspringen. Nach seinen recht erfolgreichen KÄNGURU-Büchern und ein wenig
Science Fiction versucht es der Berliner Kleinkünstler jetzt ebenfalls mit
heroischer Fantasy-Literatur (inklusive Sherlock Holmes-Anleihen). Sein neuer
Roman, DER SPURENFINDER (Ullstein, ISBN 978-3-550-20268-1, 330 Seiten), spielt
jedenfalls in einem geradezu klassischen Märchenwelt, in der es Kaiserinnen,
Kerkermeister, Stadtwachen, Zauberer, Götter, Dämonen, Gestaltwandler und
Ochsenkarren gibt – und einen „Spurenfinder“ (plus seine beiden Kinder), der
als „beratender“ Spezialist hinzugezogen wird, wenn die Obrigkeit von einem
Kriminalfall mal wieder überfordert ist. Zur Unterstützung bei seiner
„Fantasy-Krimi-Komödie“ hat Kling diesmal auf die Expertise seines eigenen
Nachwuchses, Johanna & Luise Kling,
zugegriffen und seinen alten Zeichner-Kumpel Bernd Kissel für die Illustrationen hinzugezogen. Da es den
SPURENFINDER auch als Hörbuch gibt (natürlich ohne Bilder),
kann/darf/muss/soll jede*r selbst entscheiden, in welcher Darreichungsform die
Geschichte ins Haus kommt.
Ach ja! – Ein Stoßseufzer muss es schon sein:
Der gute Klaus N. Frick ist sechzig
(60!) Jahre alt geworden; ja, genau, der „kleine“ Klaus aus Freudenstadt, den
ich seit so langer Zeit kenne, dass ich schon gar nicht mehr daran dachte, bis
es jetzt halt soweit war und ich die Festschrift DAS WÜSSTE ICH ABER!
(p.machinery, ISBN 978-3-95765-359-8) zugeschickt bekam. Da ließ es sich nicht
mehr leugnen: auch aus Beamtenanwärtern und Punks werden alte Säcke.
Andererseits haben wir uns doch ganz gut gehalten, jedenfalls soweit ich das
bei unseren jährlichen Zufalls-Treffen in Dreieich beim BuCon feststellen
konnte. Und das von Christina Hacker
und Alexandra Trinley zusammengestellte
365-Seiten-Büchle, mit den dreißig Beiträgen von Kolleg*innen, Freund*innen,
Weggefährt*innen und anderen lieben Menschen, ist eine reichlich bebilderte
Textsammlung, die Fricks phantastisches Leben in so vielen Facetten zeigt, dass
manchmal der Eindruck entsteht, es mit dreißig Klausis zu tun zu haben. Wer
weiß, vielleicht funktioniert der vermaledeite „DimensionsSchredder“ ja doch,
der mich vor Jahrzehnten dazu brachte, die PERRY RHODAN-Serie nicht mehr als
zeitgenössische Erzählung, sondern als Science Fiction zu betrachten …
J
„Von Jack Vance sprechen heißt, vom Schwärmen
sprechen. Was bringt mich in der Literatur Jack Vances so ins Schwärmen? Jack
Vance ist die kürzeste Verbindung in meine Kindheit – oder vielmehr in jenen
Raum grenzenloser Phantasie, den ich in meiner verklärten Rückschau damit
verwechsle, denn es war ja nicht meine Phantasie, die diese Kindheit so
bereicherte, sondern die von Jack Vance.“
Denis
Scheck; in: Gunther Barnewald – HANDBUCH
DER PLANETEN (S.3)