TEMPORAMORES - Newsletter # 384 - 16.12.2023




KURZMELDUNGEN

Na also: Immer noch deutlich vor Jahresende und in der inzwischen gewohnten Klappenbroschur mit den astronomischen Aufnahmen auf Vorderdeckel und Rücken liegt DAS SCIENCE FICTION JAHR  2023 (Hirnkost, ISBN 978-3-98857-033-8, 620 S.) vor mir. Auch diese inzwischen 38. Ausgabe des Almanachs wurde von Melanie Wylutzki und Hardy Kettlitz zusammengestellt und wie immer kann es sich sehen lassen, was die 38 Beitragenden im letzten Jahr so alles gelesen, gesehen, geschrieben, gehört, gespielt und gesammelt haben. Natürlich gibt es wie immer die großen Abteilungen mit Übersichten über die Bücher, Filme, Hörspiele, TV-Serien, Comics und Spiele, dann die Statistik-Ecke mit Nachrufen, Preisen und der Bibliografie. Speziell in diesem Jahr gab es das „Feature“ mit „Alternativer Geschichtsschreibung“ und „Pazifismus“, und aus gegebenem Anlass einen Schwerpunkt zum Tod von Herbert W. Franke. Mir ganz besonders gefallen hat diesmal der Essay „Die Schönheit des Unterschieds. Ursula K. Le Guin und die Ethnologie“ von Guido Sprenger, der damit knapp vor den Artikeln über Philip K. Dick bzw. Eric Frank Russell, bzw. H. G. Wells lag. Und da ich den Rest erst im Lauf der nächsten Monate lesen werde, kann sich das auch noch verschieben …

So direkt in die Augen geschaut hat mir schon lange kein Umschlagbild mehr: Das Cover der Ausgabe 47 von EXODUS (Eigenverlag, November 2023, 120 Seiten), dem Magazin für „Science Fiction Stories & Phantastische Grafik“, stammt von Ingo »Krimalkin« Lohse (dem auch die „Galerie“-Abteilung gewidmet ist, diesmal inklusive eines 4-Seiten-Comics) und zeigt eine ganze Schar von Gesichtern, aus denen das einer Astronaut*in hervorleuchtet, deren Blick direkt auf mich (bzw. die betrachtende Person) gerichtet ist. Klasse Einstieg in ein Heft voller guter Geschichten (u. a. von Christian Endres, Peter Schattschneider, Wolf Welling und Yvonne Tunnat), großartiger Illustrationen (u. a. von Lothar Bauer, Mario Franke und Jan Hoffmann) sowie Comics, Cartoons und etwas Lyrik zur Abrundung. Aus dem Editorial der Herausgeber René Moreau, Heinz Wipperfürth und Hans Jürgen Kugler geht hervor, dass EXODUS in dieser halbprofessionellen Form inzwischen auch schon zwanzig Jahre hinter sich hat. Gratulation und gute Wünsche für die nächsten Dekaden!

Mein guter Freund Zufall stieß mich bei Korrektur-Lese-Arbeiten auf ein Sachbuch, das – wohl vor allem wegen seines Titels – sicher auch vielen sonst daran Interessierten bisher entgangen sein dürfte: Das HANDBUCH DER PLANETEN (Fanpro, ISBN 978-3-946502-03-6) von Gunther Barnewald. Erst der Untertitel „Reiseführer durch die Welten von Jack Vance“ führt den Blick in die richtige Richtung. Es handelt sich nicht um ein Hilfsmittel zur Astronomie, sondern um ein 270 Seiten starkes Kompendium zu Leben und Werk des US-amerikanischen SF-Großmeisters Jack Vance – im Format DIN A4 und mit einem Vorwort von Denis Scheck! Aufgeteilt in 16 Kapitel betrachtet Barnewald jede Story und jeden Roman, inklusive pseudonymer Werke, gibt einen biografischen Abriss und versucht in mehreren Essays eine literaturgeschichtliche Einordnung. Ergänzend angefügt ist ein umfangreiches Interview mit Vance, und in der Abteilung „Anhänge“ finden wir Zeittafeln, Bibliografien, Personen- und Titelregister. Mit diesem Buch haben deutschsprachige Vance-Fans und -Forscher endlich ein Standardwerk zur Verfügung, das keine Wünsche mehr offen lässt.

Ein klein wenig verwundert dürfen wir uns schon die Augen reiben: Dass DIE PRIZESSINNEN von Christian Endres, dessen Romane und Erzählungen wir seit Jahren schätzen und empfehlen, jetzt tatsächlich zu einem „heimlichen Hit“ des frühen 3. Jahrtausends geworden sind, spricht dafür, dass Christian den Zeitgeist voll getroffen hat und zwar trotz, oder sogar wegen, der ungewöhn­lichen Protagonistinnen und der bewusst flapsigen Erzählweise. Nach dem Erstling (FÜNF GEGEN DIE FINSTERNIS, April 2023) verlangten Publikum und Verlag nach mehr – und der Meister lieferte: DIE PRINZESSINNEN – HELDEN UND ANDERE DÄMONEN (cross cult, ISBN 978-3-98666-422-0) ist vor einigen Tagen erschienen. Diesmal steigt der Erzähler voll ein, keine Spielchen mehr, es geht auf der ersten Seite los und hört bis Seite 488 nicht mehr auf: Action, Gemetzel, schräge Sprüche, mehr oder weniger tiefsinnige Gespräche, ein Held, der langsam alt wird und deshalb Leibwächterinnen braucht, Zauberer, Dämonen, Drachen – manchmal macht die Geschichte den Eindruck, Versatzstücke aus allen jemals geschriebenen Heroic-Fantasy-Aben­teuern zu zitieren, aber dann überdeckt der Autor die Schnittstellen mit viel Blut und noch mehr eigenen Ideen und alle sind wieder zufrieden. Außer Mef, Narvila, Aiby, Cinn oder Decanra, denn mindestens eine der PRINZESSINNEN hat ja immer was zu maulen …

Na super: Offenbar sind DIE PRINZESSINNEN so erfolgreich, dass selbst deutsche Bestseller-Autoren wie Marc-Uwe Kling nicht mehr anders können, als auf den Zug aufzuspringen. Nach seinen recht erfolgreichen KÄNGURU-Büchern und ein wenig Science Fiction versucht es der Berliner Kleinkünstler jetzt ebenfalls mit heroischer Fantasy-Literatur (inklusive Sherlock Holmes-Anleihen). Sein neuer Roman, DER SPURENFINDER (Ullstein, ISBN 978-3-550-20268-1, 330 Seiten), spielt jedenfalls in einem geradezu klassischen Märchenwelt, in der es Kaiserinnen, Kerkermeister, Stadtwachen, Zauberer, Götter, Dämonen, Gestaltwandler und Ochsenkarren gibt – und einen „Spurenfinder“ (plus seine beiden Kinder), der als „beratender“ Spezialist hinzugezogen wird, wenn die Obrigkeit von einem Kriminalfall mal wieder überfordert ist. Zur Unterstützung bei seiner „Fantasy-Krimi-Komödie“ hat Kling diesmal auf die Expertise seines eigenen Nachwuchses, Johanna & Luise Kling, zugegriffen und seinen alten Zeichner-Kumpel Bernd Kissel für die Illustrationen hinzugezogen. Da es den SPURENFINDER auch als Hörbuch gibt (natürlich ohne Bilder), kann/darf/muss/soll jede*r selbst entscheiden, in welcher Darreichungsform die Geschichte ins Haus kommt.

Ach ja! – Ein Stoßseufzer muss es schon sein: Der gute Klaus N. Frick ist sechzig (60!) Jahre alt geworden; ja, genau, der „kleine“ Klaus aus Freudenstadt, den ich seit so langer Zeit kenne, dass ich schon gar nicht mehr daran dachte, bis es jetzt halt soweit war und ich die Festschrift DAS WÜSSTE ICH ABER! (p.machinery, ISBN 978-3-95765-359-8) zugeschickt bekam. Da ließ es sich nicht mehr leugnen: auch aus Beamtenanwärtern und Punks werden alte Säcke. Andererseits haben wir uns doch ganz gut gehalten, jedenfalls soweit ich das bei unseren jährlichen Zufalls-Treffen in Dreieich beim BuCon feststellen konnte. Und das von Christina Hacker und Alexandra Trinley zusammen­gestellte 365-Seiten-Büchle, mit den dreißig Beiträgen von Kolleg*innen, Freund*innen, Weggefährt*innen und anderen lieben Menschen, ist eine reichlich bebilderte Textsammlung, die Fricks phantastisches Leben in so vielen Facetten zeigt, dass manchmal der Eindruck entsteht, es mit dreißig Klausis zu tun zu haben. Wer weiß, vielleicht funktioniert der vermaledeite „Dimensions­Schredder“ ja doch, der mich vor Jahrzehnten dazu brachte, die PERRY RHODAN-Serie nicht mehr als zeitgenössische Erzählung, sondern als Science Fiction zu betrachten …

 

J

 



ZITAT

„Von Jack Vance sprechen heißt, vom Schwärmen sprechen. Was bringt mich in der Literatur Jack Vances so ins Schwärmen? Jack Vance ist die kürzeste Verbindung in meine Kindheit – oder vielmehr in jenen Raum grenzenloser Phantasie, den ich in meiner verklärten Rückschau damit verwechsle, denn es war ja nicht meine Phantasie, die diese Kindheit so bereicherte, sondern die von Jack Vance.“

 Denis Scheck; in: Gunther Barnewald – HANDBUCH DER PLANETEN (S.3)



Zurück

Next