TEMPORAMORES - Newsletter # 413 - 22.10.2025




KURZMELDUNGEN

Törööö...!!!! Jubel! Applaus! Es ist mir eine Freude sondergleichen, heute und hier verkünden zu dürfen, dass ich ab sofort nicht nur Biblio-Graf sondern auch Lexiko-Graf genannt werden darf. Denn ab sofort ist es lieferbar: Das LEXIKON DER DEUTSCHSPRACHIGEN SCIENCE FICTION 1933–1945 (Memoranda, ISBN 978-3-911391-10-8), zusammengestellt, geschrieben und heraus­gegeben von Klaus Geus, Wolfgang Both, Klaus Scheffler und – genau – Horst Illmer. Auf über 400 Seiten werden im LEXIKON die Biografien von etwa 200 Autorinnen und Autoren vorgestellt, die zwischen 1933 und 1945 Science-Fiction-Texte veröffentlicht haben. Dabei werden nicht nur die reinen Daten angegeben, sondern auch eine Einordnung versucht, wie diese Menschen in das literarische und politische Leben der Zeit einge­bunden waren. Desglei­chen geschieht mit ihren in dieser Zeit veröffentlichten Werken. Über 200 detaillierte Buch­besprechungen von zum Teil unbekannten oder nur schwer zugänglichen Texten zeigen, dass die bisherige kritische Beurteilung der deutschsprachigen Science Fiction in der Zeit der national­sozialistischen Herrschaft häufig unkorrekt war, mit Vorurteilen belegt oder von falschen Annahmen ausging. Neben den Biografien und Rezensionen stellt das LEXIKON detailgenaue bibliografische Angaben zur Verfügung, in denen nicht nur die Buch-Erstausgaben und Nach­drucke aufgeführt sind, sondern oftmals auch die Daten der Zeitschriften-Vorabdrucke und gegebenenfalls sogar die Übersetzungen in andere Sprachen. Im Anhang finden sich dann noch hilfreiche Titel- und Autorenregister und ein Literaturverzeichnis. Das LEXIKON DER DEUTSCHSPRACHIGEN SCIENCE ­FICTION 1933–1945 ist nicht nur ein unverzicht­bares Standartwerk, sondern gehört auch noch zu den äußerst seltenen Sekundärwerken, deren Lektüre gleichermaßen informativ und unterhaltend ist.


Etwas weniger „seriös“, dafür aber total herzergreifend, ist das soeben veröffentlichte Werk URSULA K. LE GUIN’S BOOK of CATS (Library of America, ISBN 978-1-59853-829-8, 100 S., Hardcover), in dem der Katzenliebhaberin Ursula K. Le Guin gedacht wird. Versammelt sind hier viele hübsche Katzen-Zeichnungen Le Guins, eine Reihe Gedichte an und über Katzen, ein Katzen-Briefwechsel und ein Katzen-Comic. Das liebevoll produzierte Büchlein zeigt die lebenslange Verbindung der Autorin zu ihren tierischen Gefährten. Der Erlös kommt der Library of America zugute, in der auch die kommentierte Werkausgabe Le Guins erscheint.

Einen weiteren Grund zum Jubeln bietet das soeben auf Deutsch erschienene neue Buch von Ursula K. Le Guin (1929–2018), die seit einigen Jahren bei uns endlich die verdiente Aufmerk­samkeit erlebt, die einer Weltliteratin zusteht. Die Verlage TOR und Carcosa kümmern sich um ihre Hauptwerke, die in hervorragenden Erst- oder Neuübersetzungen, hauptsächlich durch die kongeniale Karen Nölle, neue Leser*innen-Generationen begeistern. Dabei handelt es sich jedoch überwiegend um Romane, ihre über einhundert Stories und Novellen wurden in den letzten dreißig Jahren sehr stiefmütterlich behandelt. Mit dem monumentalen Band »DER TAG VOR DER REVOLUTION« (TOR, ISBN 978-3-596-71087-4, 782 Seiten, Herdcover) erfährt auch dieser Missstand Abhilfe. Gleich 25 Science-Fiction-Storys sind hier auf fast 800 Seiten versammelt, immerhin fünf von ihnen als Deutsche Erstausgaben, die anderen durchgesehen und neu übertragen. Natürlich sucht der Kennerblick zuerst die großen Klassiker („Die aus Omelas fortgehen“, „Neun Leben“ oder „Der Tag vor der Revolution“), aber nach so langer Zeit ist das müßig und eher dem Alter des Rezensenten geschuldet. Tatsächlich ist es so, dass in dieser Sammlung kein einziger Ausfall zu verzeichnen ist. Es geht eher um Vorlieben: Geschichten, die im Rahmen der Hainish-Ökumene angesiedelt sind, oder Stories, die für sich alleine stehen. Frühe Texte, die (gewissermaßen) noch der traditionellen Science Fiction angehören, oder Erzählungen, in denen Le Guin ihre stetig weiter entwickelte Meisterschaft durch Themenwahl und Konzentration auf Wesentliches beweist. Karen Nölle verfolgt diese Entwicklung in ihrem ausführlichen Nachwort, lässt jedoch auch Le Guin selbst in zwei klugen Essays („Darf ich mich vorstellen?“ und „Science Fiction lese ich nicht“) über das Verhältnis zwischen Autorin und Publikum nachdenken.

Ab jetzt im Schnelldurchgang: DAS SCIENCE FICTION JAHR  2025 (Hirnkost, ISBN 978-3-98857-145-8, 515 S.) ist erschienen. Herausgegeben von Melanie Wylutzki und Hardy Kettlitz beschäftigt sich die 40. (!!!) Ausgabe dieses nach wie vor unentbehrlichen Almanachs mit dem Thema Utopie (bzw. „Anti-Dystopien“, „Klimafiktionen“, „(Noch-)Nicht-Orten“ u. ä.) in allen seinen Erscheinungsformen. Mit dabei: Aiki Mira, Michael Wehren, Isabella Hermann, Jol Rosenberg, Wolfgang Both, Hans Esselborn u.v.a.m. Dazu Jahresübersichten, Nachrufe, Preise, Rezensionen, Film und TV. (5 Seiten Inhaltsverzeichnis sagen alles!)


Von Aiki Mira liegt der „Science Fiction Thriller” DENIAL OF SERVICE (TOR, ISBN 978-3-596-71182-6, 252 S.) vor, der auf noch konzentrierte Weise, in noch lyrischerer Sprache und mit noch liebenswerteren Figuren ausgestattet den Abschluss von Miras Städte-Trilogie bildet. Diesmal darf sich Frankfurt am Main rühmen, den Schauplatz für einen perfekt geschriebenen, spannenden und emotional mitnehmenden Text zu geben. Mein Favorit für den nächsten Kurd-Laßwitz-Preis!


Bei Carcosa kann man derzeit eigentlich nichts falsch machen. Nach dem Monumentalwerk JERUSALEM kehrt Alan Moore zurück zum klassischen Storytelling: DAS GROSSE WENN (ISBN 978-3-910914-46-9, 410 S.), der erste Teil seiner neuen Erzählreihe LONG LONDON liest sich flüssig und erzeugt den nötigen Sog für die Gier nach weiteren Bänden.

Und mit UND HOFFENTLICH ZU LERNEN … (ISBN 978-3-910914-32-2, 220 S.) von Becky Chambers setzt der Verlag die erfolgreiche „Kleine Reihe“ mit Stories und Novellen fort, die schon jetzt aus dem Bücherregal nicht mehr wegzudenken ist.


Ich kann mich nicht erinnern, dass es bei einem Science-Fiction-Roman deutscher Zunge schon einmal ein solches Projekt wie ANDYMONADEN (Memoranda, ISBN 978-3-911391-12-2, 192 S.) gegeben hat: Zu dem utopischen Meisterwerk ANDYMON, das Angela und Karl-heinz Steinmüller 1982 veröffentlichten, schrieben unter der Ägide des Herausgebers Michael Wehren zwölf Autor*innen, die derzeit die Speerspitze der deutschsprachigen Gegenwarts-SF bilden, je eine Geschichte, die sich mit den philosophischen Implikationen beschäftigen, die ANDYMON für ihre literarische Sozialisation bedeutet. Die „12 SF-Geschichten“ von Patricia Eckermann, Aiki Mira, Dietmar Dath, Lena Richter, Zeinab Hodeib, Luise Meier, Zara Zerbe, Jol Rosenberg, Anna Zabini, Mart Akbal, Nelo Locke und Michael Wehren selbst springen in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von ANDYMON und lassen uns die „Eroberung des Weltraums“ ohne Gewaltanwendung auf aufregende Weise neu erleben. (Eine vorherige Neu-Lektüre des Originalromans, ebenfalls bei Memoranda lieferbar, ist ratsam.)


ZITAT

„Die Ansicht, dass es der Science Fiction durch ihren Gebrauch von Metaphern aus anderen Welten, Raumfahrt, Zukunft und durch ihre Erfindung von Technologien, Gesellschaften oder Lebewesen an menschlicher Relevanz für unser Leben fehle, teile ich nicht. Wo ernstzunehmende Autoren von ihnen Gebrauch machen, werden diese Bilder und Metaphern zu Bildern und Meta­phern für unser Leben, legitime erzählerische, symbolische Mittel, Dinge zu sagen, die anders nicht über uns, unser Dasein und unsere Lebensführung hier und jetzt zu sagen wären. Die Science Fiction erweitert mithin das Hier und Jetzt.“

Ursula K. Le Guin – „Science Fiction lese ich nicht.“; in: DER TAG VOR DER REVOLUTION (S. 13)



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