Törööö...!!!! Jubel! Applaus! Es ist mir eine Freude
sondergleichen, heute und hier verkünden zu dürfen, dass ich ab sofort nicht
nur Biblio-Graf sondern auch Lexiko-Graf genannt werden darf. Denn ab sofort ist
es lieferbar: Das LEXIKON DER DEUTSCHSPRACHIGEN SCIENCE FICTION
1933–1945 (Memoranda, ISBN 978-3-911391-10-8), zusammengestellt, geschrieben
und herausgegeben von Klaus Geus,
Wolfgang Both, Klaus Scheffler und – genau – Horst Illmer. Auf über 400
Seiten werden im LEXIKON die Biografien von etwa 200 Autorinnen und Autoren
vorgestellt, die zwischen 1933 und 1945 Science-Fiction-Texte veröffentlicht
haben. Dabei werden nicht nur die reinen Daten angegeben, sondern auch eine
Einordnung versucht, wie diese Menschen in das literarische und politische
Leben der Zeit eingebunden waren. Desgleichen geschieht mit ihren in dieser
Zeit veröffentlichten Werken. Über 200 detaillierte Buchbesprechungen von zum
Teil unbekannten oder nur schwer zugänglichen Texten zeigen, dass die bisherige
kritische Beurteilung der deutschsprachigen Science Fiction in der Zeit der
nationalsozialistischen Herrschaft häufig unkorrekt war, mit Vorurteilen
belegt oder von falschen Annahmen ausging. Neben den Biografien und
Rezensionen stellt das LEXIKON detailgenaue bibliografische Angaben zur
Verfügung, in denen nicht nur die Buch-Erstausgaben und Nachdrucke aufgeführt
sind, sondern oftmals auch die Daten der Zeitschriften-Vorabdrucke und gegebenenfalls
sogar die Übersetzungen in andere Sprachen. Im
Anhang finden sich dann noch hilfreiche Titel- und Autorenregister und ein
Literaturverzeichnis. Das LEXIKON DER DEUTSCHSPRACHIGEN
SCIENCE FICTION 1933–1945 ist nicht nur ein unverzichtbares Standartwerk,
sondern gehört auch noch zu den äußerst seltenen Sekundärwerken, deren Lektüre
gleichermaßen informativ und unterhaltend ist.
Etwas weniger „seriös“, dafür aber total herzergreifend, ist das soeben
veröffentlichte Werk URSULA K. LE GUIN’S BOOK of CATS (Library of America, ISBN
978-1-59853-829-8, 100 S., Hardcover), in dem der Katzenliebhaberin Ursula K. Le Guin gedacht wird.
Versammelt sind hier viele hübsche Katzen-Zeichnungen Le Guins, eine Reihe
Gedichte an und über Katzen, ein Katzen-Briefwechsel und ein Katzen-Comic. Das
liebevoll produzierte Büchlein zeigt die lebenslange Verbindung der Autorin zu
ihren tierischen Gefährten. Der Erlös kommt der Library of America zugute, in
der auch die kommentierte Werkausgabe Le Guins erscheint.
Einen weiteren Grund zum
Jubeln bietet das soeben auf Deutsch erschienene neue Buch von Ursula K. Le Guin (1929–2018), die seit
einigen Jahren bei uns endlich die verdiente Aufmerksamkeit erlebt, die einer
Weltliteratin zusteht. Die Verlage TOR und Carcosa kümmern sich um ihre
Hauptwerke, die in hervorragenden Erst- oder Neuübersetzungen, hauptsächlich
durch die kongeniale Karen Nölle,
neue Leser*innen-Generationen begeistern. Dabei handelt es sich jedoch
überwiegend um Romane, ihre über einhundert Stories und Novellen wurden in den
letzten dreißig Jahren sehr stiefmütterlich behandelt. Mit dem monumentalen
Band »DER TAG
VOR DER REVOLUTION« (TOR, ISBN 978-3-596-71087-4,
782 Seiten, Herdcover) erfährt auch dieser Missstand Abhilfe. Gleich 25
Science-Fiction-Storys sind hier auf fast 800 Seiten versammelt, immerhin fünf
von ihnen als Deutsche Erstausgaben, die anderen durchgesehen und neu
übertragen. Natürlich sucht der Kennerblick zuerst die großen Klassiker („Die
aus Omelas fortgehen“, „Neun Leben“ oder „Der Tag vor der Revolution“), aber
nach so langer Zeit ist das müßig und eher dem Alter des Rezensenten
geschuldet. Tatsächlich ist es so, dass in dieser Sammlung kein einziger Ausfall
zu verzeichnen ist. Es geht eher um Vorlieben: Geschichten, die im Rahmen der
Hainish-Ökumene angesiedelt sind, oder Stories, die für sich alleine stehen.
Frühe Texte, die (gewissermaßen) noch der traditionellen Science Fiction
angehören, oder Erzählungen, in denen Le Guin ihre stetig weiter entwickelte
Meisterschaft durch Themenwahl und Konzentration auf Wesentliches beweist.
Karen Nölle verfolgt diese Entwicklung in ihrem ausführlichen Nachwort, lässt
jedoch auch Le Guin selbst in zwei klugen Essays („Darf ich mich vorstellen?“
und „Science Fiction lese ich nicht“) über das Verhältnis zwischen Autorin und
Publikum nachdenken.
Ab jetzt im Schnelldurchgang: DAS SCIENCE
FICTION JAHR 2025 (Hirnkost, ISBN
978-3-98857-145-8, 515 S.) ist erschienen. Herausgegeben von Melanie Wylutzki und Hardy Kettlitz beschäftigt sich die 40.
(!!!) Ausgabe dieses nach wie vor unentbehrlichen Almanachs mit dem Thema
Utopie (bzw. „Anti-Dystopien“, „Klimafiktionen“, „(Noch-)Nicht-Orten“ u. ä.) in
allen seinen Erscheinungsformen. Mit dabei: Aiki Mira, Michael Wehren, Isabella Hermann, Jol Rosenberg, Wolfgang
Both, Hans Esselborn u.v.a.m. Dazu Jahresübersichten, Nachrufe, Preise,
Rezensionen, Film und TV. (5 Seiten Inhaltsverzeichnis sagen alles!)
Von Aiki Mira liegt der
„Science Fiction Thriller” DENIAL OF SERVICE (TOR, ISBN 978-3-596-71182-6, 252
S.) vor, der auf noch konzentrierte Weise, in noch lyrischerer Sprache und mit
noch liebenswerteren Figuren ausgestattet den Abschluss von Miras
Städte-Trilogie bildet. Diesmal darf sich Frankfurt am Main rühmen, den
Schauplatz für einen perfekt geschriebenen, spannenden und emotional
mitnehmenden Text zu geben. Mein Favorit für den nächsten Kurd-Laßwitz-Preis!
Bei Carcosa kann man derzeit eigentlich nichts falsch machen. Nach dem
Monumentalwerk JERUSALEM kehrt Alan
Moore zurück zum klassischen Storytelling: DAS GROSSE WENN (ISBN
978-3-910914-46-9, 410 S.), der erste Teil seiner neuen Erzählreihe LONG LONDON
liest sich flüssig und erzeugt den nötigen Sog für die Gier nach weiteren
Bänden.
Und mit UND HOFFENTLICH ZU LERNEN … (ISBN 978-3-910914-32-2, 220 S.)
von Becky Chambers setzt der Verlag
die erfolgreiche „Kleine Reihe“ mit Stories und Novellen fort, die schon jetzt
aus dem Bücherregal nicht mehr wegzudenken ist.
Ich kann mich nicht erinnern, dass es bei einem Science-Fiction-Roman
deutscher Zunge schon einmal ein solches Projekt wie ANDYMONADEN (Memoranda,
ISBN 978-3-911391-12-2, 192 S.) gegeben hat: Zu dem utopischen Meisterwerk
ANDYMON, das Angela und Karl-heinz Steinmüller 1982 veröffentlichten,
schrieben unter der Ägide des Herausgebers Michael
Wehren zwölf Autor*innen, die derzeit die Speerspitze der deutschsprachigen
Gegenwarts-SF bilden, je eine Geschichte, die sich mit den philosophischen
Implikationen beschäftigen, die ANDYMON für ihre literarische Sozialisation
bedeutet. Die „12 SF-Geschichten“ von Patricia
Eckermann, Aiki Mira, Dietmar Dath, Lena Richter, Zeinab Hodeib, Luise Meier,
Zara Zerbe, Jol Rosenberg, Anna Zabini, Mart Akbal, Nelo Locke und Michael Wehren selbst springen in die
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von ANDYMON und lassen uns die „Eroberung
des Weltraums“ ohne Gewaltanwendung auf aufregende Weise neu erleben. (Eine
vorherige Neu-Lektüre des Originalromans, ebenfalls bei Memoranda lieferbar,
ist ratsam.)
„Die Ansicht,
dass es der Science Fiction durch ihren Gebrauch von Metaphern aus anderen
Welten, Raumfahrt, Zukunft und durch ihre Erfindung von Technologien,
Gesellschaften oder Lebewesen an menschlicher Relevanz für unser Leben fehle,
teile ich nicht. Wo ernstzunehmende Autoren von ihnen Gebrauch machen, werden
diese Bilder und Metaphern zu Bildern und Metaphern für unser Leben, legitime
erzählerische, symbolische Mittel, Dinge zu sagen, die anders nicht über uns,
unser Dasein und unsere Lebensführung hier und jetzt zu sagen wären. Die
Science Fiction erweitert mithin das Hier und Jetzt.“
Ursula
K. Le Guin – „Science Fiction lese ich nicht.“; in: DER TAG VOR DER REVOLUTION (S. 13)