TEMPORAMORES - Newsletter # 136 - 27.4.2009




A DEATH IN THE FAMILY

Am 19. April 2009 verstarb in London mit dem Schriftsteller James Graham Ballard der  herausragende Stilist der britischen Science-Fiction-Literatur. Während der 60er Jahre war er einer der Wegbereiter der „New Wave“. Geboren wurde Ballard am 15. November 1930 in Shanghai. 1943, nach dem Angriff auf Pearl Harbor, wurde die Familie für drei Jahre in einem Lager für zivile Kriegsgefangene interniert. 1946 kehrte Ballard nach England zurück. In der Folgezeit studierte er Medizin, diente als Pilot bei der RAF und begann als Werbetexter und Drehbuchautor mit dem Schreiben. Nachdem er 1956 seine erste Kurzgeschichte verkaufen konnte, etablierte er sich schnell als einer der innovativsten und populärsten Autoren der britischen SF-Szene.

Vor allem mit seinen Endzeitromanen DER STURM AUS DEM NICHTS, KARNEVAL DER ALLIGATOREN, WELT IN FLAMMEN und KRISTALLWELT errang er Weltruhm. In vielen der folgenden Romane und Erzählungen entwarf Ballard eine düstere Zukunftswelt: unserer Gegenwart gar nicht so weit voraus, nur die bereits erkennbaren dystopischen Grundzüge satirisch überspitzt. In dieser Gattung der urbanen Katastrophengeschichten erreichte er eine wahre Meisterschaft, wofür Titel wie CRASH, DIE BETONINSEL oder DER BLOCK als Beleg stehen. Trotzdem wird Ballard vor allem für sein Kurzgeschichtenwerk geschätzt, das seit einiger Zeit in einer Komplettedition vorliegt (dt. Ausgabe in zwei Bänden: DIE STIMMEN DER ZEIT und VOM LEBEN UND TOD GOTTES).

Die Rezeption Ballards in Deutschland begann in den frühen 60er Jahren mit Veröffentlichungen in diversen Taschenbuchverlagen. Es folgten Buchveröffentlichungen in der SF-Reihe des Marion von Schröder Verlags und der Wechsel zu Suhrkamp, wo fast das komplette Werk bis 1990 vorliegt. Danach konnten nur noch Kleinauflagen bei Spezialverlagen wie der Edition Phantasia erscheinen.

Nachdem im Jahr 2006 Prostatakrebs diagnostiziert wurde, konzentrierte sich Ballard auf seine Autobiographie, die 2008 unter dem Titel »Miracles of Life: Shanghai to Shepperton« erschien. Mit seinem Tod verliert die englische Literatur einen ihrer großen Geschichtenerzähler, dessen »Mythen der nahen Zukunft« von künftigen Generationen vermutlich als historische Dokumente gelesen werden.



KURZMELDUNG

Bei Kein & Aber erschien soeben eine Sammlung mit „schönen Geschichten“ von Kurt Vonnegut. Unter dem Titel DER TAUBENBLAUE DRACHE sind hier 22 Texte unseres 2007 verstorbenen Lieblingsamerikaners aus den letzten zehn Jahren versammelt. Von Harry Rowohlt wie gewohnt in ein angemessenes Deutsch gebracht, zeigt Vonnegut hier zum wohl letzten Mal, welch großartigen Schriftsteller wir mit ihm verloren haben. Obwohl einige Texte etwas unfertig und sprunghaft wirken, ist der überwiegende Teil der Geschichten hochkonzentrierte Qualität. Unabdingbar!



ZITAT

„Die schlechte Nachricht lautet, daß die Marsmenschen in Manhattan gelandet und im Waldorf-Astoria abgestiegen sind. Die gute Nachricht lautet, daß sie nur Obdachlose aller Hautfarben fressen und daß sie Benzin pinkeln.“

Kurt Vonnegut – DER TAUBENBLAUE DRACHE (S. 28)




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