TEMPORAMORES - Newsletter # 137 - 20.5.2009




KURZMELDUNGEN

Mit gehörigem Understatement nennt der kanadische Comic-Künstler Seth seine biografische Erzählung WIMBLEDON GREEN „eine Geschichte aus dem Skizzenbuch des Zeichners“. Dabei gehört diese psychologisch raffinierte Studie des „größten Comicsammlers der Welt“ zu den lustigsten und gleichzeitig anregendsten Lektüren der letzten Monate. Selbst ein aktiver Sammler von Comics und Schallplatten, weiß Seth Bescheid über die sensible, fragile und oftmals etwas abartige Psyche des „echten“ Sammlers. Mit Wimbledon Green hat er den Prototypen geschaffen, dessen Lebenslauf von seiner Leidenschaft geprägt ist: Erste Comics aus dem Süßwarenladen, dann Flohmärkte, Sammlerbörsen, An- und Verkauf – und endlich das „große Ding“. Mit der legendären „Sammlung Wilbur R. Webb“ schafft Wimbledon Green den Aufstieg zum Sammlergipfel. Natürlich hat er Konkurrenten und Neider, viele Freunde unter den Händlern und sogar echte Feinde unter den elitären Mitgliedern des „Coverloose Club“ – Seth lässt nichts aus, er kennt alle Fallstricke, die das Leben für einen Sammler bereithält. Die Zeichnungen sind mit schnellem Strich „hingeworfen“, trotzdem ist jeder Charakter „getroffen“, jedes Detail sauber herausgearbeitet. Man erkennt den Könner auf den ersten Blick. Das kleinformatige Hardcover ist im Wuppertaler Verlag „Edition 52“ erschienen und gehört – natürlich! – in jede gute Sammlung.

In diesem Jahr kann Ursula K. Le Guin ihren achtzigsten Geburtstag begehen, doch von Ruhe oder gar Rückzug keine Spur. Nachdem sie im letzten Jahr mit LAVINIA einen postmodernen Historischen Roman veröffentlichte, gewann sie soeben mit POWERS (dem dritten Band ihrer „Annals of the Western Shore“-Reihe) den NEBULA-Award der SFWA für den besten Roman – und brachte gleichzeitig im Verlag Aqueduct Press eine neue Sammlung von Reden und Essays heraus, die den Titel CHEEK BY JOWL trägt. Die acht Texte behandeln überwiegend die Gründe für das Vorhandensein und die Notwendigkeit von Fantasy-Erzählungen, vor allem, aber eben nicht nur, in der Kinder- und Jugendliteratur. In einer furiosen Abrechnung („The Critics, the Monsters, and the Fantasists) liest die Autorin den Herrschaften von der akademischen Literaturkritik ordentlich die Leviten. Und im titelgebenden Essay beschäftigt sie sich mit den diversen Formen der Tiergeschichte in der Kinderliteratur – ein Meisterstück, kenntnisreich und engagiert geschrieben, voller Hingabe und Herzblut und trotzdem kritisch und ausgewogen. Wer mehr über dieses Buch und die aktuellen Projekte der rührigen Künstlerin wissen möchte, kann auf ihrer sehr gut präsentierten und aktuell gehaltenen Homepage www.ursulakleguin.com nachsehen.



ZITAT

„Warum nur diese Hingabe an das Material? Wahrscheinlich hätte ich mit diesem Aufwand besser etwas tiefer Schürfendes mitteilen können: etwa einen Comic über meine alltägliche trübe Existenz im Kelleratelier. Denn das ist mein wirkliches Leben und nicht Autogyros und ergebene Assistenten.“

Seth – WIMBLEDON GREEN; Einleitung




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