TEMPORAMORES - Newsletter # 174 - 15.9.2011




KURZMELDUNGEN

Das Darwin-Gedächtnis-Jahr ist zwar schon wieder Schnee von gestern, dennoch sollte man bei der Lektüre von China Miévilles neuem, 730 Seiten starken Roman DER KRAKE (Bastei Lübbe, ISBN 978-3-404-20560-8) hin und wieder auch an den Gottvater der Evolution und seine bahnbrechenden Forschungen denken. Immerhin geht es um einen aus dem Darwin-Center (!) geklauten Riesen-Tintenfisch, dessen präparierter Körper von allen kriminellen, spirituellen und magischen Kräften Londons mit gnadenloser Unerbittlichkeit gesucht wird. Das ruft natürlich die Polizei auf den Plan – was in diesem speziellen Fall bedeutet, dass sich die drei Mitglieder einer sehr speziellen Sekten-Behörde gegen eine schier unüberschaubare Menge an Killern, Zaubereren, Möchtegern-Propheten, Londonmantikern, Kunsterern, Teuthisten und ähnlichem Kroppzeug durchsetzen müssen. Als störendes Moment gibt es dann noch den armen Billy Harrows, der es innerhalb kürzester Zeit schafft, dass wirklich alle auf einmal hinter ihm her sind. Seine einzige Unterstützung erfährt er von einem ausgestoßenen Mitglied der Kraken-Sekte und dem Streikführer der UMA (der „Union der magischen Assistenten“). Und während schließlich jeder jeden jagt und keiner mehr weiß, was eigentlich los ist, treibt London im Schatten des großen Architeuthis auf die Apokalypse zu …
Miévilles
Geschichte sprudelt wieder einmal über vor Ideen, Sprachbildern, Wortneuschöpfungen und ironischen Seitenhieben. Neben seinem geliebten London und seiner bekannt-engagierten Ein­stellung zu sozialen Problemen thematisiert Miéville auch jede Menge populärer Mythen wie TV-Serien, Science-Fiction-Literatur und Independent-Music. Viel Spaß also bei der Lektüre – und beim nächsten Besuch im Griechischen Restaurant (Calamaris, frittiert!).

„The same procedure as every year?“ – Oh, yes, my Dear! DAS SCIENCE FICTION JAHR 2011 (Heyne, 1300 Seiten, ISBN 978-3-453-53379-0), wie immer herausgegeben von Sascha Mamczak und Wolfgang Jeschke, diesmal unterstützt von Sebastian Pirling, hat es erneut geschafft, die verlagsinternen Kontrollinstanzen zu umschiffen und ist soeben „vom Stapel gelaufen“. Wie immer gilt: Unentbehrlich für jeden, der wissen will, was im letzten Jahr alles an ihm vorbeigegangen ist. Zusätzlich gibt es ein klug zusammengestelltes Schwerpunktthema: die „Future History“. Beiträge von John Clute, Stephen Baxter, Karsten Kruschel, Erik Simon, Karlheinz Steinmüller und vielen anderen geben einen schönen Überblick über diese interessante Sparte der SF. Ausführliche Interviews gibt es mit Peter Watts, Adam Roberts und Harald Lesch. Die Artikel beschäftigen sich mit allen literarischen und medialen Aspekten der Phantastik und der ihr verwandten Wissenschaften, dazu gibt es jede Menge Statistik (der gute Hermann Urbanek leistet wieder einmal Unglaubliches) und viele Buchbesprechungen. Hoffen wir also, dass es auch 2012 wieder heißt: „The same procedure as every year!“


ZITAT

„Es waren nicht die Fantasy-Geschichten, die die meisten Kunsterer inspirierten … Nein, sie ließen sich von Science Fiction beeinflussen.“

China Miéville – DER KRAKE (S. 336)




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