TEMPORAMORES - Newsletter # 178 - 19.12.2011




KURZMELDUNGEN

In Jochen Schimmangs Roman NEUE MITTE (Nautilus, 255 Seiten) bildet ein Mordfall in Berlin den Rahmen für einen erstaunlichen utopischen Gesellschaftsentwurf. Die Geschichte spielt im Jahr 2029 in Deutschland, wo, nach einem 2016 erfolgten Staatsstreich der Bundeswehr und der Befreiung von der Militärjunta durch die Alliierten, erneut Besatzungsbedingungen herrschen. In diesen Nach-Wende-Wende-Wende-Zeiten hilft ein nicht mehr ganz junger Mann seinem väterlichen Freund beim Aufbau einer Bibliothek mitten im schon wieder neugestalteten Berliner Zentrum. Im Umkreis dieser Bibliothek entwickelt sich, von den Besatzern geduldet und von den meisten Berlinern ignoriert, eine kleine, anarchistisch-genossenschaftlich strukturierte Gemeinschaft, deren auf Selbstverwaltung und Eigeninitiative bauende praktische Philosophie äußerst sympathisch wirkt. Schimmang beschreibt in NEUE MITTE mit großer Eleganz, viel Empathie und subtilem Humor eine phantastische, aber nicht ganz unmögliche Zukunft eines „neuen Deutschlands“ im 21. Jahrhundert.

Einen (inzwischen gewohnt) zwiespältigen Eindruck hinterließ der neue „Kultur“-Roman von Iain Banks, der soeben als KRIEG DER SEELEN (Heyne, 800 Seiten) in der Übersetzung von Andreas Brandhorst erschienen ist. Auf der einen Seite die grandiosen KI-Raumschiffe der Kultur mit ihren abgefahrenen Namen (z. B. Aus dem Rahmen normaler moralischer Restriktionen fallend oder Totale Innere Reflexion) und ihrem Hang zu endlosen pseudophilosophischen Unterhaltungen, auf der anderen Seite ein eher herkömmliches Wir-wollen-den-Weltraum-erobern-Szenario und eine recht simple Rache-Geschichte. Alles in allem jedoch überwiegend lustig-unterhaltsame Space Opera, die vor allem den Banks-Fans kurzweilige Lektüre bereiten wird.

Einen ausgesprochen positiven Eindruck bekam ich dafür von Thomas Wawerka, dessen Story-Sammlung WIE DAS UNIVERSUM UND ICH FREUNDE WURDEN (Fabylon Verlag, 260 Seiten) ein Dutzend hervorragender SF-Geschichten enthält. Dieser Meinung schließt sich auch Andreas Eschbach in seinem Vorwort an – also: werden auch Sie ein Freund des Autors.

Das ultimative Weihnachtsgeschenk für den anspruchsvollen Sammler phantastischer Bücher stellt der dritte Band von Clive Barkers ABARAT-Reihe dar.  Der Roman trägt den Untertitel IN DER TIEFE DER NACHT (Heyne, 620 Seiten) und schildert die weiteren Abenteuer von Candy Quackenbush aus Chickentown, Minnesota, auf den fünfundzwanzig Inseln  der Parallelwelt Abarat. Wie bereits die Vorgänger-Titel erscheint auch dieses Buch in einer limitierten Prachtausgabe – hochwertiges Kunstdruckpapier, Ganzleinen, Fadenheftung, Lesebändchen, montiertes Deckelbild, Halbleinen-Schuber mit Fensterausschnitt – bei der erneut die mehr als einhundert farbigen Illustrationen Barkers den eigentlichen Reiz ausmachen.


ZITAT

„In meinem Fall bedeutet ‚Vorposten‘, dass ich herumhänge und auf Probleme warte. Ich hänge nicht herum und warte auf Anhalter.“

Iain BanksKRIEG DER SEELEN (S. 372)




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