In Jochen Schimmangs Roman NEUE MITTE
(Nautilus, 255 Seiten) bildet ein Mordfall in Berlin den Rahmen für einen
erstaunlichen utopischen Gesellschaftsentwurf. Die Geschichte spielt im Jahr
2029 in Deutschland, wo, nach einem 2016 erfolgten Staatsstreich der Bundeswehr
und der Befreiung von der Militärjunta durch die Alliierten, erneut
Besatzungsbedingungen herrschen. In diesen Nach-Wende-Wende-Wende-Zeiten hilft
ein nicht mehr ganz junger Mann seinem väterlichen Freund beim Aufbau einer
Bibliothek mitten im schon wieder neugestalteten Berliner Zentrum. Im Umkreis
dieser Bibliothek entwickelt sich, von den Besatzern geduldet und von den
meisten Berlinern ignoriert, eine kleine, anarchistisch-genossenschaftlich
strukturierte Gemeinschaft, deren auf Selbstverwaltung und Eigeninitiative
bauende praktische Philosophie äußerst sympathisch wirkt. Schimmang beschreibt in
NEUE MITTE mit großer Eleganz, viel Empathie und subtilem Humor eine phantastische,
aber nicht ganz unmögliche Zukunft eines „neuen Deutschlands“ im 21.
Jahrhundert.
Einen (inzwischen gewohnt) zwiespältigen Eindruck hinterließ der neue
„Kultur“-Roman von Iain Banks, der soeben
als KRIEG DER SEELEN (Heyne, 800 Seiten) in der Übersetzung von Andreas Brandhorst erschienen ist. Auf
der einen Seite die grandiosen KI-Raumschiffe der Kultur mit ihren abgefahrenen
Namen (z. B. Aus dem Rahmen normaler
moralischer Restriktionen fallend oder
Totale Innere Reflexion) und ihrem Hang zu endlosen pseudophilosophischen
Unterhaltungen, auf der anderen Seite ein eher herkömmliches
Wir-wollen-den-Weltraum-erobern-Szenario und eine recht simple Rache-Geschichte.
Alles in allem jedoch überwiegend lustig-unterhaltsame Space Opera, die vor
allem den Banks-Fans kurzweilige Lektüre bereiten wird.
Einen ausgesprochen positiven Eindruck bekam ich dafür von Thomas Wawerka, dessen Story-Sammlung WIE DAS UNIVERSUM UND ICH FREUNDE WURDEN (Fabylon Verlag, 260 Seiten) ein Dutzend hervorragender SF-Geschichten enthält. Dieser Meinung schließt sich auch Andreas Eschbach in seinem Vorwort an – also: werden auch Sie ein Freund des Autors.
Das ultimative Weihnachtsgeschenk für den anspruchsvollen Sammler
phantastischer Bücher stellt der dritte Band von Clive Barkers ABARAT-Reihe dar. Der Roman trägt den Untertitel IN DER TIEFE DER NACHT (Heyne, 620
Seiten) und schildert die weiteren Abenteuer von Candy Quackenbush aus
Chickentown, Minnesota, auf den fünfundzwanzig Inseln der Parallelwelt Abarat. Wie bereits die Vorgänger-Titel
erscheint auch dieses Buch in einer limitierten Prachtausgabe – hochwertiges
Kunstdruckpapier, Ganzleinen, Fadenheftung, Lesebändchen, montiertes
Deckelbild, Halbleinen-Schuber mit Fensterausschnitt – bei der erneut die mehr
als einhundert farbigen Illustrationen Barkers den eigentlichen Reiz ausmachen.
„In meinem Fall bedeutet ‚Vorposten‘, dass ich herumhänge und auf Probleme warte. Ich hänge nicht herum und warte auf Anhalter.“
Iain Banks – KRIEG DER SEELEN (S. 372)