TEMPORAMORES - Newsletter # 186 - 10.6.2012




A DEATH IN THE FAMILY

Mit Betroffenheit und Melancholie blicken Leser und Autoren aus aller Herren Länder nach Los Angeles, wo am 5. Juni 2012, dem Tag eines der raren Venus-Durchgänge, der allseits beliebte, verehrte und geachtete Schriftsteller Ray Bradbury verstarb.

Bradbury gehörte zu den wenigen noch lebenden Legenden des „Goldenen Zeitalters“ der Science Fiction (auch wenn er sich selbst immer eher als Fantasy-Schreiber sah), der es aufgrund seiner einzigartigen Phantasie und seiner unerschöpflichen Schaffenskraft vermocht hatte, alle Genre-Grenzen hinter sich zu lassen und das „Bradbury County“ auf der literarischen Weltkarte zu etablieren. Zwei Dutzend Romane und Sachbücher, vor allem aber weit mehr als 400 Kurzgeschichten, sind von dort ausgezogen, um die Köpfe – und Herzen – seiner Leser zu erobern.

Eine Liste mit Bradburys Hauptwerken enthält viele Titel, die sich inzwischen als Zitate in Nachschlagewerken finden lassen und die ins Gattungsbewusstsein der Menschheit eingegangen sind: Angefangen bei FAHRENHEIT 451 (1953) und GEH‘ NICHT ZU FUSS DURCH STILLE STRASSEN (1962), über DAS BÖSE KOMMT AUF LEISEN SOHLEN (1963), GESÄNGE DES COMPUTERS (1969) und MEDIZIN FÜR MELANCHOLIE (1959), bis hin zu den MARS-CHRONIKEN (1950) und dem ILLUSTRIERTEN MANN (1951). Bradburys Imaginationsvermögen strahlte zudem in fast alle anderen Bereiche der Kunst aus: Er selbst schuf eine Vielzahl von Drehbüchern – das bekannteste ist wohl das zu MOBY DICK (1956) – und Radiohörspielen, seine Geschichten dienten aber auch als Vorlagen für Theateradaptionen, Filme und TV-Serien, Hörbücher und Comics und inspirierten nicht zuletzt eine ganze Anzahl von anderen Autoren zu Werken über ihn und/oder sein Werk.

Ray Douglas Bradbury kam am 22. August 1920 in Waukegan, Illinois, zur Welt. Aufgrund der ärmlichen Familienverhältnisse blieb ihm der Besuch einer höheren Schule verwehrt, was der junge Ray vermittels intensiver Lektüre zu kompensieren versuchte. Seine frühen – und lebenslangen – Vorbilder und Lieblinge waren E. A. Poe, Herman Melville, G. K. Chesterton, G. B. Shaw, Mark Twain, F. Scott Fitzgerald, E. R. Burroughs (zu dessen Werken er bereits im Alter von zwölf Jahren eine erste „Fortsetzung“ schrieb) – und natürlich H. G. Wells und Jules Verne. Auch nachdem die Familie 1934 nach Los Angeles gezogen war (das Bradbury, der keinen Führerschein hatte und unter Flugangst litt, kaum jemals mehr verließ), blieben Lesen und Schreiben die wichtigsten Tätigkeiten im Leben des jungen Mannes. Für viele Jahre wurden die öffentlichen Bibliotheken seine Studier- und Arbeitszimmer. Nach eigenen Aussagen schrieb Bradbury praktisch „ununterbrochen, an jedem Tag“ seines Lebens.

Von 1947 bis zu ihrem Tod 2003 war Bradbury mit Marguerite McClure verheiratet; das Paar hatte vier Töchter. Für sein Werk erhielt Ray Bradbury eine Vielzahl von Auszeichnungen, Preisen und Ehrungen, darunter auch Widmungen von öffentlichen Parks und Straßen, von Asteroiden und Mondkratern, sowie von Literaturpreisen, die seinen Namen tragen.

In DER KATZENPYJAMA (2005), einer Sammlung verstreuter Texte aus mehr als einem halben Jahrhundert, bildet ein Prosagedicht den Abschluss. Dort darf der soeben verstorbene R. B. an der Seite seiner Helden Chesterton und Shaw in einem Salonwagen in den Literaturhimmel fahren. Ganz klein und bescheiden lauscht er ihren „Dichtergesprächen“ mit anderen großen Autoren der Vergangenheit – und wünscht sich, dass der „R.B.-G.K.C. und G.B.S-Orient-Express“ für alle Zeiten weiterfährt.

 

Für unsere Melancholie aber bleibt nur die eine Medizin: Ray Bradbury lesen.



ZITAT

„Ich durfte ihn gegen Ende seines Lebens in seinem Haus in Los Angeles besuchen … Allerdings der Ray Bradbury, der mir begegnete, war dann schon so ein bisschen wie Captain Kirk auf der ENTERPRISE wenn die Schutzschirme ausgefallen sind, der da mit verdämmerndem Bewusstsein vor seinem Fernseher saß, und der immer noch so ein paar alte Sound-Bytes, sozusagen aus der Erinnerung, hervorkramte – das war schon ein Verdämmern, aber auch ein schönes Verdämmern. Ein Mann der nie aufhörte zu spielen, dessen ganze Poesie schon darin lag, in solchen Gesten: Da lebte er sein ganzen Leben lang in Los Angeles – und er hasste Autos … und er hat es immer in Gegensatz gesetzt mit „der Rakete“. Die Mondrakete, die Marsrakete, das ist die Poesie, das ist all das Schöne, das ist die Ambition, der Ehrgeiz der Menschheit. Man hat ihm ja die Ehre erwiesen, ein besonderes Tal auf dem Mars, den „Bradbury-Graben“, nach ihm zu benennen, dem Autor der MARTIAN CHRONICLES, und dort wollte er eben auch begraben werden. Und sollten wir tatsächlich je so eine kleine Mars-Kolonie unterhalten – ich glaube, ein bisschen von der Asche von Ray Bradbury wird im Lauf der nächsten Jahrhunderte garantiert auf dem Mars landen. Ich möchte jedenfalls mit dieser Idee leben.“

Denis Scheck im Gespräch mit Burkhardt Müller-Ulrich (7. Juni 2012, 17:45 Uhr, Deutschlandfunk)




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