TEMPORAMORES - Newsletter # 200 - 7.4.2013



Kinder, wie die Zeit vergeht! 200 Ausgaben unseres Newsletters in nicht einmal fünfzehn Jahren, das macht uns doch ein wenig stolz. Erfreulich für uns ist, dass es immer noch einen festen „Kundenkreis“ gibt, der bei Verzögerungen oder Problemen mit der E-Mail-Zustellung energisch nachfragt, wo denn die „Neuigkeiten aus der Zukunft“ bleiben. Bevor also ein Grund für solche Nachfragen auftritt, hier die Jubiläumsnummer von TEMPORAMORES.



KURZMELDUNGEN

Beginnen wollen wir diesmal mit einer Comic-Anthologie, die uns über die letzten Wochen begleitet und begeistert hat:

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In diesem Sammelband mit mehr als fünfzig Beiträgen von einigen arrivierten und ganz vielen noch jungen und unbekannten Comic-Künstlern zeigen die Herausgeber Andrew Carl und Chris Stevens was im Idealfall dabei herauskommt, wenn man die „richtige“ Themenvorgabe macht: Die angesprochenen Talente sollten Stories und Bilder zu altbekannten Mythen- und Märchen-Motiven entwickeln, diese aber in die Zukunft versetzen. Das Ergebnis kann sich mehr als nur sehen lassen. Selten in den letzten Jahren waren wir von einer Lektüre so angetan wie von ONCE UPON A TIME MACHINE (Dark Horse, 2012, 431 S., ISBN 978-1-61655-040-0). Der Band eignet sich vor allem zum häppchenweisen „Verzehr“ – erst dann kann man die Vielfalt und Qualität der einzelnen Geschichten so richtig genießen. Dazu kommt noch ein äußerst günstiges Preis/Leistungs-Verhältnis, womit das Buch auch zu einem vorzüglichen Geschenk wird.


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Seit der ersten Ankündigung des Buches sind inzwischen viele Monate vergangen und hin und wieder tauchten Zweifel auf, ob es überhaupt erscheinen würde, doch seit Kurzem liegt es nun tatsächlich vor: JAMES TIPTREE JR. – DAS DOPPELLEBEN DER ALICE B. SHELDON (ISBN 978-3-902711-05-2), die Biografie der mythenumrankten amerikanischen Science-Fiction-Legende, geschrieben von der Kulturkritikerin Julie Phillips. Bereits beim Erscheinen von QUINTANA ROO, des ersten von sieben Bänden mit den „sämtlichen Erzählungen“ von James Tiptree jr., machte der österreichische Septime Verlag klar, dass er mit diesem engagierten Projekt dafür sorgen wollte, die Schriftstellerin Sheldon/Tiptree dem Vergessen zu entreißen und ihr (und ihrem Werk) endlich zur längst fälligen Anerkennung zu verhelfen. Denn obwohl Tiptree in den 1960er und 1970er Jahren zu den meistgelesenen und am häufigsten mit Preisen ausgezeichneten Autorinnen gehörte und mit ihrer Strategie (männliches Pseudonym und absolute Geheimhaltung) immer wieder in den Schlagzeilen war, schaffte sie es nicht (im Gegensatz zu Philip K. Dick), über ihren Tod hinaus im öffentlichen Gedächtnis zu bleiben. Erst mit dem Erscheinen von Julie Phillips‘ umfangreicher und akribisch recherchierter Biografie (die amerikanische Originalausgabe erschien im Jahr 2006) begann sich dies zu ändern. Für den deutschen Sprachraum darf man nun auf Ähnliches hoffen, zumal die von Margo Jane Warnken übersetzte Ausgabe sich so flüssig und spannend lesen lässt wie es das tatsächlich äußerst bemerkenswerte (Doppel-)Leben von Alice Sheldon verspricht. Der fast 800 Seiten starke Hardcoverband enthält neben einer Vielzahl von Fotos einen umfangreichen Anhang mit bibliografischen Daten und einem hilfreichen Register und, nicht zu vergessen, zwei Lesebändchen! Und in den nächsten Tagen sollte dann auch mit HOUSTON, HOUSTON! (ISBN 978-3-902711-07) der dritte Erzählungsband erscheinen, in dem einige der bemerkenswertesten SF-Geschichten aller Zeiten versammelt sind und zu dem Andreas Eschbach das Nachwort beisteuert. Äußerst empfehlenswert!


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Ebenfalls sehr empfehlen kann man die Ausstellung

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die derzeit (und noch bis zum 15. September 2013) in Bad Mergentheim zu sehen ist. Im dortigen Deutschordensmuseum und im städtischen Kulturforum erwarten die Besucher jede Menge Bilder, Bücher und Skulpturen von Walter Moers (und von Künstlern, die sich von ihm und seinen Schöpfungen anregen ließen). Die Räumlichkeiten sind täglich (außer montags) von 10:30 Uhr bis 17:00 Uhr für eigenständige Exkursionen geöffnet, wer Führung braucht kann sich an Montagen um 14:00 Uhr einfinden. Während der gesamten Ausstellungsdauer gibt es ein vielfältiges Begleitprogramm (näheres enthält ein Flyer der in ausgewählten Buchhandlungen erhältlich ist, das Internet verrät unter www.deutschordensmuseum.de eine ganze Menge und telefonische Nachfragen sind an 07931/52212 zu richten). Für alle seine Fans hat Walter Moers einen exklusiven SUPERMOERS-Comic gezeichnet, den es kostenlos an der Kasse gibt.


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Wer sich keine teuren amerikanischen Luxusausgaben von Comics leisten mag, der darf sich über die soeben bei Eichborn erschienene Graphic Novel PARKER (ISBN 978-3-8479-0526-4) freuen, die der Zeichner Darwyn Cooke in großartiger Manier umgesetzt hat. Die Geschichte basiert auf dem Parker-Roman THE HUNTER von Richard Stark und gehört zu den eigenwilligsten Hardboiled-Klassikern überhaupt. Die Parker-Krimis wurden nicht nur als Bücher ein riesiger Erfolg, sondern auch vielfach verfilmt. Seit einigen Jahren adaptiert sie nun Darwyn Cooke für die Graphic Novel und leistet dabei absolut Herausragendes.


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Ebenfalls bemerkenswert ist die „Übersetzung“, die der kanadische Künstler Jeff Lemire dem INVISIBLE MAN von H. G. Wells widerfahren ließ: In THE NOBODY (Panini, ISBN 978-3-86201-464-4, ca. 160 Seiten) lässt er den mit Bandagen „vermummten“ Unsichtbaren in einem kleinen Nest im Norden Amerikas auftauchen, wo er natürlich einiges Aufsehen erregt. Da Lemire nicht nur ein exzellenter Zeichner, sondern auch ein begnadeter Geschichtenerzähler ist, entwickelt sich das folgende Geschehen allerdings ganz anders als bei Wells – jedoch nicht weniger tragisch.


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Einen echten „Flashback“ erlebt man (als vor 1960 Geborener), wenn man die ersten Seiten von Helmut Wietz‘ bei Metrolit veröffentlichter Graphic Novel DER TOD VON ADORNO (ISBN 978-3-8493-0049-4) aufschlägt. Die Mischung aus 68er-Alternativkultur und Pop Art, Roy Lichtenstein und Filzstift-Kolorierung trifft unsereins mitten ins Herz. So jung wie beim Betrachten dieser 70 Seiten hat man sich lange nicht mehr gefühlt. Das Werk wurde von Wietz bereits Ende der 1960er Jahre begonnen, aber erst kürzlich zu Ende gebracht. Das Warum und Wieso erklärt der 1945 geborene Filmemacher in seinem Nachwort selbst ausführlich.


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Wie tief in unser kollektives Gedächtnis der amerikanische Schriftsteller Ray Bradbury (1920–2012) eingedrungen ist (und wie sehr er uns fehlt), wird beim Durchblättern des 24. Bandes der seit vielen Jahren erscheinenden Reihe „SF Personality“ auf fast jeder Seite deutlich. Das von Hardy Kettlitz verfasste Buch trägt den Titel RAY BRADBURY – POET DES RAKETENZEITALTERS (ISBN 978-3-943279-09-2, Shayol, 370 S.). Der gewohnt ausführlich auf das Leben und Werk des Autors eingehende und reich bebilderte Band enthält zudem zwei Essays von Ekkehard Redlin und eine umfassende Bibliografie der deutsch­sprachigen Veröffentlichungen Bradburys, zusammengetragen von Hans-Peter Neumann.



ZITATE

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass man im 22. Jahrhundert Tiptree lesen wird wie wir heute Kafka.“

Denis Scheck

 

„Wir sind gespannt darauf, welche Rolle das Lesebändchen in Zukunft noch spielen wird.“

Christine Vogt – Die 7 ½ Leben des WALTER MOERS (S. 150)

 

„Heute würde man zur Beseitigung des Problems womöglich ökologisch hergestelltes Toiletten­papier verwenden und dieses dann ebenda hinabspülen.“

Helmut Wietz – DER TOD VON ADORNO (Nachwort)

 

„Ein Buch von Ray Bradbury zu lesen, ist so ähnlich wie einem alten Freund aus der Kindheit zu begegnen: man hört Geschichten aus den glücklichen Tagen längst vergangener Jahre, und alles kommt einem vertraut vor – vielleicht sogar dann, wenn man noch nie ein Bradbury-Buch gelesen hat.“

Hardy KettlitzRAY BRADBURY. POET DES RAKETENZEITALTERS (Einleitung)



Allen Freunden und Unterstützern ein großes DANKE!


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(Die Herausgeber HI, HI-R & R.LeDyckt; v.l.n.r.)

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