Nachdem es sich die großen deutschen Verlage seit einigen Jahren
erlauben, eine Autorin wie Ursula K. Le
Guin „links liegen“ zu lassen, ist es dem kleinen, aber rührigen Atlantis
Verlag gar nicht hoch genug anzurechnen, dass er sich der großen alten Dame der
amerikanischen Science Fiction angenommen hat und ihren weltweit gefeierten
Kurzroman PARADISES LOST (2002) jetzt unter dem Titel VERLORENE PARADIESE (ISBN
978-3-86402-161-9, 150 Seiten) zeitgleich als Buch und e-book veröffentlicht.
Der Roman behandelt die Erlebnisse der Besatzung eines
Generationenraumschiffs, das bereits seit mehr als einhundert Jahren von der
Erde aus unterwegs ist, um einen erdähnlichen Planeten zu erforschen und auf
eine mögliche Besiedlung hin zu überprüfen. Allerdings entwickelt sich weder
das Zusammenleben an Bord der Discovery
so wie geplant, noch verläuft die Reise durch den Weltraum nach den
ursprünglichen Vorgaben. Als der Zielplanet dann erreicht wird, müssen sich die
Menschen im Schiff entscheiden, ob sie ihren Auftrag erfüllen wollen, oder ob
sie einem religiösen Führer auf seinem Weg zum „ewigen Leben“ folgen wollen …
Ursula K. Le Guin erzählt diese Geschichte in einem wunderschönen,
unaufgeregten Stil, der in gewohnt konzentrierter Form alles Wesentliche
enthält und dabei die zwei Hauptprotagonisten in einer Tiefe und Lebendigkeit
präsentiert, dass man schon nach wenigen Seiten in Hsing und Luis verliebt ist
und ihren Lebensweg begleitet, wie den von Freunden oder Familienmitgliedern.
Dabei ist die Oberflächenhandlung mit einem vielschichtigen Geflecht aus
literarischen und philosophischen Anspielungen, sozio-psychologischen
Betrachtungen und religionskritischen Erwägungen unterfüttert – der Mikrokosmos
im Inneren der Discovery als Spiegel
der Ereignisse in der (unserer) Außen-Welt.
VERLORENE PARADIESE gehört nicht in den Bezugsrahmen der
„Hainish“-Geschichten, sondern steht singulär im Gesamtwerk der
Schriftstellerin. Als utopisches Spätwerk ist es das Ergebnis einer
lebenslangen Suche nach der „Besten aller Welten“ – und nach einer Zukunft in
der Autorin und Leser gleichermaßen gerne leben wollen.
Der Text wurde von Horst
Illmer ins Deutsche übertragen, ein Vorwort der Autorin und ein Nachwort
des Übersetzers bilden den adäquaten Rahmen, das umlaufende Einbandmotiv stammt
von der Würzburger Künstlerin Maran
Alsdorf.
„Die Erschaffung eines Universums ist Schwerstarbeit. Jehova
nahm danach eine Auszeit, Vishnu gönnte sich ein Mittagsschläfchen.
Science-Fiction-Universen sind nur winzige Wort-Welten, aber selbst dafür
braucht es einiges Nachdenken; und bevor sie sich für jede Geschichte ein neues
Universum ausdenken, bevorzugen es einige Autorinnen, ein bereits vorhandenes
Universum weiter zu verwenden, manchmal solange, bis es sich ganz weich anfühlt
und ein wenig wie an den Rändern ausfranst und es passt wie ein altes T-Shirt.“
Ursula K. Le Guin – „Vorwort“; in: VERLORENE
PARADIESE (S. 7)