Im Alter von 78 Jahren verstarb am 1. Dezember 2014 nach langer, schwerer Krankheit der Literaturagent und Herausgeber Wolfgang Thadewald aus Langenhagen bei Hannover. Der am 24. April 1936 geborene Thadewald war eine der herausragenden Persönlichkeiten der deutschen Science-Fiction-Szene, die ohne seine Mitwirkung sicherlich ganz anders aussehen würde. Da sind vor allem sein Engagement für die polnische Literatur (speziell für seinen Freund Stanislaw Lem) und die Begeisterung für Jules Verne zu nennen, aber auch als Sammler und aktiver Fan in der Science Fiction Gruppe Hannover (SFGH) des SFCD war er unermüdlich tätig. Besonders stolz war er auf die Herausgabe des erzählerischen Werks von Jules Verne in der Digitalen Bibliothek (2004), genauso gefreut hat es ihn aber auch, wenn er wieder ein neues Exemplar der SFGH-Chroniken unter den SF-Fans verteilen konnte. Für dieses und eine Vielzahl anderer Fanzines schrieb er Artikel und Kurzgeschichten, teilweise unter Pseudonymen wie Herbert Danker, Inge Ranz oder Shalima Shyuna. Was ihn jedoch in besonderem Maße auszeichnete waren sein Humor, seine Großzügigkeit und sein offenes, entgegenkommendes Wesen. Die utopisch-phantastische Literatur in Deutschland verliert mit Wolfgang Thadewald einen ihrer größten Liebhaber – wir verlieren einen Freund. Wir werden ihn in guter Erinnerung behalten.
Mit CAMP, einem jährlich erscheinenden „Magazin für Comic, Illustration
und Trivialkultur“, geht die Edition Alfons ganz neue, überraschende Wege. Die
im November 2014 veröffentlichte „Ausgabe 1“ enthält auf 140 Seiten einen
wirklich bunten Mix aus hochinteressanten, toll geschriebenen Artikeln, unter
anderem von Michael Chabon, Heinz J. Galle, Bernd Frenz und Georg
Seeßlen, zu so unterschiedlichen Themen wie Rolf Kaukas LUPO/Lupo modern, italienischen Abenteuercomics,
Trivialkultur zur Zeit des 1. Weltkriegs und Porträts der Künstler Al Feldstein, David Wright und Glen Orbik
(von dem das prächtige Coverbild ist). Außerdem gibt es einen Rezensionsteil
mit ein paar wenigen, aber sehr ausführlichen Rezensionen und einen dreißig
Seiten starken Comicteil, wo sich die Schöpfungen von Milton Caniff, Edward P.
Jacobs und Charles M. Schulz
tummeln dürfen. Vielversprechend ist der Hinweis der Herausgeber Volker Hamann und Matthias Hofmann auf die Ausgabe 2 im November 2015!
Romane vom Weltuntergang
gibt es viele, Kurzgeschichten zur Apokalypse eher weniger. Umso erstaunlicher
ist die Anthologie MÄNGELEXEMPLARE: DYSTOPIA (Amrun Verlag, ISBN
978-3-944729-41-1), herausgegeben von Constantin
Dupien, die auf 370 Seiten achtzehn Storys versammelt, die sich auf ebenso
viele Arten mit den Geschehnissen beschäftigen, die das Ende unserer
Zivilisation herbeiführen werden. Die Beiträge stammen u. a. von Markus K. Korb, Uwe Voehl und Vincent Voss, doch auch die Visionen
der anderen Autoren zeigen eine Menschheit, die in naher Zukunft am Abgrund
anlangen und ohne Zögern den nächsten Schritt machen wird. Eingeleitet werden
die Geschichten jeweils durch eine Zeichnung von Julia Takagi, das kurze Nachwort ist von Claudia Junger, und als Appetitanreger gibt es eine Leseprobe zu
einem neuen Roman von Torsten Scheib.
Ein „Mängelexemplar“, das den vollen Preis wert ist!
Ziemlich genau zwei Jahre
nach dem dritten GRANDVILLE-Band und rechtzeitig vor dem Fest ist mit
GRANDVILLE: NOËL (Jonathan Cape, ISBN 978-0-224-09806-9, 100 Seiten) das
neueste Meisterwerk von Bryan Talbot
erschienen. Da Assistent Ratzi bereits zuhause bei seiner Familie die Feiertage
vorbereitet, muss sich Detective-Inspector LeBrock diesmal alleine mit einem
merkwürdigen und gefährlichen Fall von religiösem Wahn beschäftigen. Ein weißes
Einhorn führt eine Sekte von Endzeitgläubigen an, was allerdings nur den
üblichen Verdächtigen dazu dient, ihre „Schäfchen ins Trockene“ zu bringen.
Beim Showdown, der wie immer in der „großen Stadt“ Paris stattfindet, wird
LeBrock diesmal von Chance Lucas, einem menschlichen Agenten der Pinkerton
Detektei, unterstützt – und natürlich trifft er auch „rein zufällig“ auf seine
geliebte Billie. Wird es LeBrock trotz aller Widrigkeiten schaffen, rechtzeitig
zum Christmas Dinner bei Familie Ratzi in London einzutreffen …?
Ob man bei Andreas Eschbachs Zeitreise-Geschichte
DER JESUS-DEAL (ISBN 978-3-431-03900-9, Lübbe, 2014, 724 S.) nun von einer
Fortsetzung oder von einer Vorgeschichte seines Bestsellers DAS JESUS-VIDEO
(gerade als Bastei-Lübbe-Taschenbuch neu aufgelegt) sprechen mag, muss jeder
Leser selbst entscheiden. Völlig klar aber ist, dass es sich lohnt, das Buch zu
lesen. Wer einen müden Neuaufguss befürchtet hatte, kann beruhigt sein:
Eschbach ist einfach ein begnadeter Erzähler. Und auch wenn es hier und da (wie
bei ihm üblich) ein wenig holpert und die Recherche-Ergebnisse manchmal ein
wenig zu breiten Raum füllen – das gehört bei Eschbach einfach dazu und macht
dann auch wieder seinen ganz besonderen Reiz aus. Außerdem werden
„fortgeschrittene“ Leser von Zeitreisegeschichten sicherlich viel Spaß daran
haben, die diversen Paradoxa zu finden – und über die Lösungen zu staunen, die
der Autor dazu anbietet. Und so ist DER JESUS-DEAL nicht nur wegen seiner
Thematik ein toller Schmöker für die (Vor-)Weihnachtszeit.
Bei Rowohlt Rotfuchs
veröffentlichte man im Dezember endlich das zweite Abenteuer von „September“,
dem Mädchen, das im letzten Jahr so herrliche Abenteuer im Feenland bestehen
musste, und sich seither dorthin zurücksehnte. Erneut hat die Autorin Catherynne M. Valente ihrem Buch einen
Bandwurmtitel gegeben, den Sylke
Hachmeister gekonnt mit DIE WUNDERSAME GESCHICHTE VON SEPTEMBER, DIE UNTER
DAS FEENLAND FIEL UND MIT DEN SCHATTEN TANTZE (ISBN 978-3-499-21633-6, 333
Seiten) übersetzt hat. Die stimmungsvollen Bilder auf dem Schutzumschlag und im
Inneren stammen wieder von der spanischen Künstlerin Ana Juan. Eine Fortsetzung, auf die zu warten sich gelohnt hat.
Der „General Editor“ Guy Haley hat mit den SCI-FI CHRONICLES
(Aurum Press, ISBN 978-1-78131-359-6) ein Sekundärwerk der Extraklasse
vorgelegt. Die laut Untertitel „Visual History of the Galaxy’s Greatest Science
Fiction“ bringt auf 576 großformatigen Seiten eine fast 200 Jahre umfassende
Übersicht über das gesamte Spektrum der Science Fiction. Die etwa zwei Dutzend
Mitarbeiter, bei denen Haley auf „große Namen“ verzichtet (einzig Lavie Tidhar ist da eine Ausnahme),
sind als Wissenschaftler und Journalisten im Genre tätig und liefern durchweg
hervorragende Texte. Beginnend 1818 mit Mary
Shelleys Roman FRANKENSTEIN bis hin zum Mega-Blockbuster AVATAR von 2009
reichen die Artikel, mit denen Bücher, Autoren, Filme, Comics und ganze
„Universen“ vorgestellt werden. Der vor allem visuell neuartige Ansatz bei
diesem Werk ist natürlich gewöhnungsbedürftig, hat man sich aber erst einmal
eingelesen (bzw. mit der Legende vertraut gemacht), bietet praktisch jeder
Beitrag neben dem Haupttext noch eine Vielzahl von Zusatzinformationen. So zum
Beispiel bei „Batman“, wo man anhand der im ganzen Buch durchgängig verwendeten
Timeline nicht nur erfährt, wann in der Comic-Serie welche Schurken und Helfer
auftreten, sondern auch, wo die TV-Serien und Filme einzusortieren sind und
wann herausragende Einzelbände erschienen (zudem werden auch noch die
weltweiten Einspielergebnisse der Filme angegeben – und natürlich gibt es
reichlich Abbildungen).
„We need
science fiction. We need to understand why it’s important. And we need books
like this one as guides to the rich legacy of the genre.”
Stephen
Baxter
– Foreword; in: G. Haley (Ed.) –
SCI-FI CHRONICLES, S. 9