Das neue Jahr beginnt mit
dem Hinweis auf die neueste Ausgabe unseres Lieblingsmagazins phantastisch! (Atlantis), dessen Ausgabe
57 den inzwischen 15. Jahrgang
eröffnet. Inhaltliche Höhepunkte setzen u. a. Olaf Brill und Michael Vogt,
deren Steampunk-Comic „Ein seltsamer Tag“ ja inzwischen in Farbe getaucht ist
und diesmal zwei Seiten umfasst. Von Brill stammt auch ein großartiger
Übersichtsartikel zum SF-Comic „Valerian und Veronique“, während sich Sonja Stöhr mit neuen Büchern für junge
Leser und dem Trend zur „Alternate History“ beschäftigt. Christian Endres steuert neben einem Interview mit SAM ZABEL-Autor Dylan Horrocks noch einen Artikel über H. G. Wells und die Übersetzung eines Peter S. Beagle-Textes bei. Und zu Harlan Ellison, dem Enfant Terrible der Science
Fiction, gibt es gleich zwei lange Texte von Horst Illmer und Christian
Hoffmann. So kann das Jahr weitergehen!
So ein Terraforming-Ingenieur hat es schon schwer. Da will man nur mal kurz den stressigen Schreibtischjob gegen ein paar Jahre Ruhe auf einem leblosen Planeten eintauschen, so ganz ohne Kontakt zu Menschen, dafür aber mit der Möglichkeit, Gott zu spielen und der Schöpfung ein wenig auf die Sprünge zu helfen – und dann steckt man plötzlich mitten in einer abenteuerlichen Verfolgungsjagd durch die halbe Galaxis. Matthias Falke ist mit DER TERRAFORMER (Atlantis, ISBN 978-3-86402-189-3, 300 Seiten) ein gut geschriebener, spannender und humorvoller Science-Fiction-Roman der „alten Schule“ gelungen. Keine Stilexperimente, keine überbordende Gewalt, keine Apokalypse, die kurzfristig gestoppt werden muss – sondern einfach nur herrliches Weltraum-Garn, wie man es sich abends auf Beta 7 oder Centauri 13 bei einem guten Gläschen am Tresen einer Raumfahrer-Kneipe erzählt. Lesevergnügen pur!
Das Dream-Team der zeitgenössischen Höchst-Phantastik ist zurück.
Bei Heyne erschien endlich DAS GLEISMEER (ISBN 978-3-453-31540-2, 400 S.), der
langerwartete neue Roman von China Miéville,
übersetzt von der unvergleichlichen Eva
Bauche-Eppers & wir können nur sagen: Das Warten hat sich gelohnt! In
seinem neuesten Meisterwerk lässt Miéville seiner Fabulierlust (und seiner
Liebe zur guten alten Eisenbahn) wieder einmal freien Raum und zitiert
genüsslich Motive und Figuren aus solchen Abenteuer-Klassikern wie MOBY DICK
oder der SCHATZINSEL. & Frau Bauche-Eppers steuert in ihrer Nachdichtung noch
einiges an Mehrwert bei. Einzig die Einbandgestaltung vermag nicht zu
überzeugen (um höflich zu bleiben).
Etwas makaber wirkt es
schon, wenn man in Shaun Ushers
Briefesammlung LETTERS OF NOTE – BRIEFE,
DIE DIE WELT BEDEUTEN (Heyne, ISBN 978-3-453-26955-2, 400 S.) gleich nach einem
Eierkuchenrezept, welches die blutjunge Regentin Elisabeth II. an den US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower sendet, das berühmt-berüchtigte Schreiben Jack the Rippers „From hell“ findet –
aber gerade die unerwartete Gegenüberstellung von anrührend &
furchteinflößend, alt & neu, kurz & episch, literarisch &
unbedarft, schmerzerfüllt & heiter macht den eigentlichen Reiz dieses
großformatigen Buches aus. 125 höchst unterschiedliche Briefe hat Usher
zusammengetragen (viele davon sind als Faksimile beigegeben), von bekannten und
unbekannten Schreibern an bekannte und unbekannte Empfänger, historisch wichtige
Briefe und wie nebenbei hingeworfene Notate, Lebenszeichen und
Selbstmorddrohungen, begeisterte Gunstbezeugungen und Schreiben voller Hass und
Missgunst, Entschuldigungen und Erklärungen – kurz gesagt: Das ganze, pralle Leben
zwischen zwei Buchdeckeln. Erfreulicherweise finden sich neben gleich zwei
Briefen von Kurt Vonnegut jr. auch
je einer von Ray Bradbury und Philip K. Dick. Damit ist die
Anschaffung dieses auch herstellungstechnisch wundervollen Prachtbandes in
jedem Falle gerechtfertigt!
Das Aufeinandertreffen der
furchtbaren Anschläge von Paris mit dem Ersterscheinungstag von Michel Houellebecqs
Near-Future-Groteske SOUMISSION war unter Umständen kein Zufall – geschadet hat
es der Verbreitung des Buches wohl nicht. Glücklicherweise war der Rummel in
Deutschland ein paar Tage später, als UNTERWERFUNG (Dumont, ISBN 978-3-8321-9795-7,
270 S.) in der Übertragung von Norma
Cassau & Bernd Wilczek
veröffentlicht wurde, deutlich geringer. Doch auch hierzulande berichteten alle
Leitmedien über Houellebecqs Vorschau auf das Jahr 2022, wenn in Frankreich aus
Angst vor Marine Le Pen ein
muslimischer Präsident gewählt wird – und man sich dort dann auch noch fast widerstandslos
den neuen Moralvorstellungen anpasst. Zur Meinungsbildung unbedingt selbst
lesen!
Ähnliches gilt eigentlich
auch für STARSHIP TROOPERS (Mantikore, ISBN 978-3-939212-48-5, 385 S.) von Robert A. Heinlein. In den USA erhielt
der 1959 erstmals veröffentlichte Roman sogleich einen HUGO Award; in
Deutschland dauerte es, trotz Heinleins immenser Popularität, bis ins Jahr 1981,
bevor Bastei Lübbe sich an diesen Titel wagte (und damit seine hochkarätige
Reihe Science Fiction Special
eröffnete). Nun liegt das Buch in einer sehr frisch, frech und modern wirkenden
Neuübersetzung von Ulrich Schüppler
vor – und vermag sich als einer der Klassiker der „Military-SF“ gegen jede
Menge Konkurrenz zu behaupten. Man kann kaum umhin, Heinlein für seine
begeistert (und begeisternd) vorgetragene unbedingte Liebe zur Infanterie
Respekt zu zollen. Wer wissen will, wo Miles und Andrew ihre literarischen
Wurzeln haben, sollte mal einen Blick riskieren. Mehr, als dass man sich gut
unterhalten fühlt, kann kaum passieren.
Und für alle, denen das
Niveau jetzt doch zu niedrig geworden ist, hier noch ein „Beruhigungs-Tropfen“
zum Abschluss: Die soeben für ihren Beitrag zur amerikanischen Literatur mit
einer Ehrenmedaille (und einem soliden Geldbetrag, wir sind ja schließlich in
den USA daheim) ausgezeichnete Ursula K.
Le Guin schreibt gottseidank einfach trotzdem weiter. In der Ausgabe 62 des
Tin House Magazine (ISBN
978-0-9912582-1-5, Volume 16, Number 2, 224 S.) erschien ihre Kurzgeschichte
„The Jar of Water“. Die etwa 20 Seiten lange Story spielt in einer Wüste, die
ein Diener im Auftrag seines Herren gleich mehrfach durchqueren muss, dabei
immer in Gefahr, von Räubern oder dem Durst an seiner Aufgabe verhindert zu
werden. Der Stil ist wunderbar leicht und märchenhaft und das Ganze wirkt wie
ein Seitenstück zu TAUSEND UND EINER NACHT. Wer mehr über die
Bezugsmöglichkeiten usw. erfahren möchte, sollte ruhig einmal auf Mrs. Le Guins
Internetseite www.ursulakleguin.com
schauen.
„Ich machte eine sehr wichtige Entdeckung in
Camp Currie. Das Glück besteht darin, genug Schlaf zu bekommen. Nur das, sonst
nichts. All die reichen, unglücklichen Leute, die man so kennt, brauchen ihre
Schlafmittel; Männer von der Mobilen Infanterie benötigen so etwas nicht. Gib
einem Kapsel-Trooper einen Schlafsack und die Zeit, ihn zu benutzen, und er ist
glücklich wie ein Wurm in einem Apfel – und schläft.“
Robert A. Heinlein – STARSHIP TROOPERS, S. 78
„Lassen Sie es mich folgendermaßen
zusammenfassen: Die Science-Fiction hat sich langsam und unvermeidlich ihrem
einförmigen Tod ergeben: Sie ist inzüchtig, derivativ und schal geworden.”
Philip K. Dick – „Brief an Jeff Walker“; in: S. Usher (Hg.) – LETTERS OF NOTE, S. 302