Eines
der unverwüstlichen Meisterwerke der Science Fiction ist SCHLACHTHOF 5 ODER DER
KINDERKREUZZUG, jener Roman aus dem Jahr 1969, mit dem Kurt Vonnegut das Trauma aufarbeitete, das er 1945 als
Kriegsgefangener bei der Bombardierung Dresdens erlitt. Im Verlag Hoffmann und
Campe erschien soeben eine hervorragende Neuübersetzung des Buches von Gregor Hens (ISBN 978-3-455-40555-2,
240 S.), die flotter und moderner ist, etwas näher am
Original, etwas pfiffiger bei Schimpfwörtern und Slang-Ausdrücken. Im direkten
Vergleich mit der Übersetzung von Kurt
Wagenseil aus dem Jahr 1970 ergibt sich, dass SCHLACHTHOF 5 ODER DER
KINDERKREUZZUG dieses „Upgrade“ nicht nur gut verkraftet hat, sondern auch
einem „Altleser“ wie mir noch das Gefühl einer Neuentdeckung gegeben hat. Mit
dieser Edition ist der SCHLACHTHOF 5 für die nächste Lesergeneration bereit.
Als Neil Armstrong im Juli 1969 den Mond erreicht, muss er überrascht
feststellen, dass er zwar der erste Mensch dort oben ist, jedoch nicht der
erste Besucher von der Erde – eine kleine Fahne und winzige Fußspuren weisen
den Weg in die richtige Richtung. Wer jetzt an Torben Kuhlmanns Bilderbuch-Erstling LINDBERGH – DIE ABENTEUERLICHE
GESCHICHTE EINER FLIEGENDEN MAUS aus dem Jahr 2014 denkt, ist schon auf der
richtigen Fährte. In ARMSTRONG – DIE ABENTEUERLICHE REISE EINER MAUS ZUM MOND
(NordSüd, ISBN 978-3-314-10348-3, 128 Seiten) setzt der Illustrator und
Kommunikationsdesigner die Historia von der Mäuse-Luftschifffahrt fort. Kuhlmanns kontrafaktische
Geschichtsschreibung zeigt in wunderschönen, detailverliebten Bildern, mit
welch großen Widrigkeiten und Problemen, mit welchen Gefahren und Rückschritten
der Weg zum Mond auch für kleinere Intelligenzwesen gepflastert ist – und wie
Erfindungsreichtum, Mut und der Glaube an die Wissenschaft aus einer bloßen
Möglichkeit eine geschichtsträchtige Tatsache werden lassen. ARMSTRONG – DIE
ABENTEUERLICHE REISE EINER MAUS ZUM MOND ist ein Bilderbuch der ganz besonderen
Art. Und wer hätte gedacht, dass Amerika einmal von einer Maus „erobert“ wird,
die am Zeichentisch eines deutschen Künstlers entstanden ist.
Der
britische Autor J. G. Ballard hat
die Form der minimalistischen Katastrophen-Erzählung in vorher ungekannte Höhen
geführt. In seinen Geschichten gibt es nur sehr wenig „Handlung“ und kaum
„Action“, dafür erleben seine Figuren die ihnen zugefügten Heimsuchungen,
Verletzungen, Plagen, Unfälle und Missgeschicke häufig als faszinierende
Abfolge von Ereignissen, die sie nicht nur widerspruchslos hinnehmen, sondern
oft auch noch voller Hingabe erwarten. In seinem neu aufgelegten Hochhaus-Roman
HIGH-RISE (ISBN 978-3-03734-932-8, Diophanes, 2016, 250 Seiten) aus dem Jahr
1975 erreicht dieser Kulturpessimismus enorme Ausmaße. Mehr als zweitausend
Menschen schließen sich freiwillig in einem 40-stöckigen Betonkomplex ein und
beginnen eine sinn- und erbarmungslose Orgie der gegenseitigen Zerstörung, die
sämtlichen Perversionen Raum zur Entfaltung bietet. Auf höchstem stilistischem
Niveau, und von Michael Koseler
hervorragend übersetzt, betrachtet Ballard seine Mitmenschen wie im Reagenzglas
einer chemischen Versuchsanordnung befindlich. Dieser Roman ist erbarmungslos
und verstörend und gleichzeitig fesselnd und einzigartig.
Als
Kurzgeschichtenautorin hatte Alice
Sheldon unter ihren Pseudonymen James
Tiptree jr. und Raccoona Sheldon
in den Jahren zwischen 1968 und 1977 die Science Fiction ordentlich
durcheinander gebracht. Nachdem ihre „Tarnung“ 1977 aufgeflogen war, versuchte
sie sich 1978 erstmals an einem längeren Text. Das Ergebnis war der SF-Roman UP
THE WALLS OF THE WORLD, der 1980 bei Heyne
unter dem Titel DIE FEUERSCHNEISE auch auf Deutsch erschien. Allerdings
dauerte es dann bis jetzt, bevor der Wiener Septime Verlag das Buch im Rahmen
der Tiptree-Werkausgabe als DIE MAUERN DER WELT HOCH (ISBN 978-3-902711-46-5,
500 S.) in einer Neuübersetzung von Bella
Wohl wieder zugänglich macht. Der Roman erzählt vom Aufeinandertreffen
dreier Rassen, den Menschen der Erde, den fliegenden Rochen des Planeten Tyree
und DEM ZERSTÖRER (der ähnlich wie Terry
Pratchetts TOD nur in Versalien kommuniziert bzw. denkt), einem unfassbar
großen und fast allmächtigen Wesen, dessen Wirken sich katastrophal auf alles
auswirkt, das in seinen Weg gerät. Auf Tiptree-typische Weise verläuft dieser
dreifache Erstkontakt jedoch ziemlich anders, als dies in der Science Fiction
sonst üblich ist. Nicht ganz so stark wie viele der Kurzgeschichten, dafür mit
sehr viel Emphase und Optimismus geschrieben – etwas, das heutzutage in der
Literatur viel zu kurz kommt.
Endlich
kann man einen der wichtigsten und besten Science-Fiction-Romane aller Zeiten
wieder empfehlen, ohne hinzufügen zu müssen: Nur noch antiquarisch erhältlich.
Heyne hat soeben in seiner Reihe „Meisterwerke der Science-Fiction“ den Roman
LEBEN OHNE ENDE (ISBN 978-3-453-31436-8, 527 Seiten) von George R. Stewart in einer von Alexander
Martin sehr gut überarbeiteten Neuausgabe veröffentlicht. In einer nicht
allzu fernen Zukunft vernichtet eine Seuche den größten Teil der Menschheit.
Die wenigen Überlebenden und müssen sich in den Trümmern der Zivilisation neu
einrichten. LEBEN OHNE ENDE erzählt von einer solchen Gruppe, die sich in
Kalifornien, in der Gegend von San Francisco, zusammenfindet. Während man
anfangs noch versucht, Regeln zu beachten, zeigt sich bald, dass der bloße
Überlebenskampf keine Zeit lässt für soziale und humanistische Gefühlsduselei.
Der Protagonist Isherwood Williams, genannt Ish, schlägt sich durch diese
schlimme Zeit, findet neue Freunde, zeugt Kinder und muss mit ansehen, wie die
Welt, wie er sie kannte, im Dunkel versinkt. Nach einem bedauernden Blick auf
die Millionen Bände der Universitätsbibliothek, die während eines kalten
Winters als Feuerung dienen, übernimmt Ish die Aufgabe, wenigstens Rudimente
des zivilisatorischen Wissens zu bewahren und durch das Erzählen von
Geschichten und praktischen Anleitungen an die Jungen weiterzugeben. Er lebt
lange genug, um die ersten Formen einer neuen, naturverbundenen Gesellschaft
zu erleben. Ihm selbst bleibt es nicht erspart, von seinen Leuten zu einem
Halbgott erhoben zu werden, der letztlich in der Folklore weiterleben wird.
Aus der Vielzahl von Nachkatastrophen-Romanen, die nach dem Zweiten Weltkrieg
erschienen, ragt George Stewarts Buch vor allem durch seinen ruhigen und klaren
Erzählstil heraus. Seine abgeklärte, kompetente Sicht auf den Menschen in
einer solchen Ausnahmesituation, stellt den Roman in eine Reihe mit klassischen
Werken wie Jack Londons DIE
SCHARLACHPEST und John Wyndhams DIE
TRIFFIDS. In einem ausführlichen Nachwort beschäftigt sich Uwe Neuhold nicht nur mit der genretypischen „Lust an der Apokalypse“,
sondern auch mit den Möglichkeiten einer „Superseuche und dem Leben danach“.
„Das Wichtigste, was sie den anderen
klarmachen möchte, ist, dass sie so viel Zeit haben werden. Vielleicht alle
Zeit der Welt. Und während wir unsere Reise immer weiter und weiter fortsetzen,
wie lange sie auch dauern mag, werden unterschiedliche Möglichkeiten
auftauchen. Unterschiedliche Handlungen werden dringender oder richtiger
erscheinen. Wir kennen noch nicht einmal alle unsere eigenen Kräfte. Also lasst
uns retten, was uns zur Rettung begegnet, erfahren, was wir erfahren können,
verändern, was sinnvoll zu verändern scheint. Auf diese Weise werden wir lernen
und wachsen. […] Jetzt weiß sie, was sie sagen wird: »Lasst uns alles ausprobieren!«“
James Tiptree jr. – DIE
MAUERN DER WELT HOCH (S. 498)