Zum
Jahresende hier noch einmal ein Alles-Muss-Raus-Newsletter. Ein tiefer Griff in
die Kiste mit Neuerwerbungen und Titeln, die bisher nicht so richtig zum Zug
gekommen waren.
Beginnen
wir mit der soeben neu erschienen Comic-Kurzgeschichten-Anthologie MOUSE GUARD:
LEGENDEN DER WÄCHTER – BAND 3 (cross cult, ISBN 978-3-95981-071-5, 140 Seiten,
Hardcover), herausgegeben von David
Petersen. Bereits zum dritten Mal lädt der Erfinder der „Mäuse-Wache“
Kollegen aus aller Welt ein, Geschichten über tapfere Nagetiere zu erzählen –
und zum dritten Mal zeigen Künstler wie Mark
Buckingham, Skottie Young oder Dustin Nguyen, dass die Shortstory auch
im Comic funktioniert. Lassen Sie sich von den Erzählungen aus dem June Alley Inn verzaubern und bestimmen
Sie, welche Geschichte Ihr Herz am meisten rührt.
Neues
gibt es auch von Karl-Ulrich Burgdorf
zu berichten. Der Autor und Übersetzer hat in den letzten Jahren ein
umfangreiches Kurz- und Kürzest-Geschichtenwerk hervorgebracht, aus dem er –
ergänzt um einige bisher unveröffentlichte Texte – dreißig Stories ausgewählt
und in einem Sammelband zusammengefügt hat. DER SCHÄMS-SCHEUSS-VIRUS UND ANDERE
UNWAHRSCHEINLICHE GESCHICHTEN (ISBN 978-3-95627-514-2, 222 Seiten, kartoniert)
zeigt die düster-altersweisen Einsichten eines aufmerksamen
Jetztzeit-Beobachters und schwarz-humorigen Erzählers. Wer sich für Phantastik
aus Deutschland interessiert, sollte unbedingt Mal einen Blick in diese
Collection riskieren, die es für „richtige“ Sammler auch als Hardcover gibt.
Zu
den Fleißigsten Fränkischen Fantasten zählt seit vielen Jahren unser
Schweinfurter Meister-Erzähler Markus K.
Korb. Auch 2016 gibt es eine Kurzgeschichtensammlung von ihm, die als
„Exklusive Sammlerauflage!“ im Blitz Verlag erschienen ist. XENOPHOBIA enthält
14 Erzählungen über die Angst vor dem „Fremden“ – wobei man sich bei Korb ja
immer sicher sein kann, dass das wirklich „Fremde“ vor allem in unseren Köpfen
„zuhause“ ist. Ob Horror, Fantasy oder Science Fiction – unabhängig von
Genre-Erwartungen zelebriert Korb sein persönliches Vergnügen an Dingen, die
bei anderen Menschen Gänsehaut und Schauer erzeugen. Unterstützt wird er dabei
von einer Vielzahl begnadeter Künstler, die seine Geschichten kongenial
illustrieren. So wird aus diesem 220 Seiten schmalen Taschenbüchlein ein
Schmuckstück für die Bibliothek. (Bezug nur direkt über den Verlag möglich.)
Rechtzeitig
vor dem Fest haben die großen Verlage nochmal alle Schleusen geöffnet, und so
könnten zwei langerwartete Science-Fiction-Romane noch ihren Weg unter den Baum
finden: Von der amerikanischen Autorin Connie
Willis stammt DUNKELHEIT (cross cult, ISBN 978-3-95981-168-2, 720 Seiten,
Klappenbroschur), ein von Claudia Kern
übersetzter Zeitreiseroman, der bei seiner Erstveröffentlichung (OT: BLACKOUT)
2010 nicht nur den HUGO Award, sondern auch den NEBULA und den LOCUS Award
abräumen konnte. Mehr Leseempfehlung geht eigentlich nicht. Der zugehörige
zweite Teil erscheint als LICHT im nächsten Jahr.
Ebenfalls
mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde DIE DREI SONNEN (Heyne, ISBN
978-3-453-31716-1, 590 Seiten, Klappenbroschur), die „Sensation aus China“ von Cixin Liu, einem hierzulande noch
völlig unbekannten Schriftsteller, der aber in seiner Heimat als derzeit
wichtigster SF-Autor gilt. In den USA ist die hoch gelobte Trilogie um das
THREE BODY PROBLEM bereits vollständig erschienen, bei uns hat sich Heyne die
Rechte gesichert. Vorbildlich ist es, dass man direkt aus dem Chinesischen
übersetzen ließ, was Martina Hasse
vorzüglich gelungen ist, und nicht auf die US-Übersetzung zurückgegriffen hat.
Da es sich um richtig „harten“ Stoff handelt, findet der leicht überforderte
Nicht-Physiker bzw. Nicht-Chinese am Ende des Buches einen fast 50 Seiten
umfassenden Anhang. Echte Science Fiction aus einem uns überwiegend fremden
Sprach- und Kulturraum – unbedingt ansehen!
Und
nun zu den Klassikern! Der deutsche Globetrotter, Schriftsteller und
Filmemacher Hanns Heinz Ewers
(1871–1943) hat in einer beispiellosen, über 40 Jahre andauernden Karriere
vieles richtig und eines richtig falsch gemacht. Er glaubte, sich das
Wohlwollen der Nationalsozialisten durch einen Eintritt in die Partei sichern
zu können, was jedoch gründlich misslang (seine Bücher wurden verboten bzw.
nicht mehr aufgelegt) und ihn zudem als Autor über viele Jahrzehnte
diskreditierte. Unabhängig von dieser „späten Sünde“ besteht jedoch sein
erzählerisches Werk aus einigen der bemerkenswertesten Kurzgeschichten und
Romane des 20. Jahrhunderts. Hier ist vor allem die Sammlung DAS GRAUEN zu
nennen, deren Auflage die hunderttausend überschritt, sowie der Roman ALRAUNE,
der gleich mehrfach verfilmt wurde. Recht unbekannt geblieben ist jedoch sein
einziger echter Science-Fiction-Roman, der 1928 erst- und einmalig erschienene
und soeben neu aufgelegte FUNDVOGEL (MetaGIS, ISBN 978-3-936438-85-7, 460
Seiten, kartoniert). Diese „Geschichte einer Wandlung“ beschreibt unter anderem
eine erfolgreich durchgeführte Geschlechtsumwandlung – und zwar einige Jahre
bevor dies tatsächlich möglich war. Ewers hat zum Thema erhebliche und
aufwändige Recherchen durchgeführt und bleibt in seiner Erzählung nicht allein
bei den medizinischen Einzelheiten im wissenschaftlichen Rahmen, sondern
beschreibt auch die psychischen Probleme seiner Protagonisten vor, während und
nach einer solchen Operation. Diesen unbekannten Klassiker der deutschen SF
wieder zugänglich gemacht zu haben ist kein kleiner Verdienst, dass die
Lektorin Maran Alsdorf durch einen
umfangreichen Anhang mit Worterklärungen und der Übersetzung fremdsprachlicher
Zitate zudem noch erheblich zu dessen Lesbarkeit beiträgt, soll durchaus
Erwähnung finden. FUNDVOGEL ist eine Herausforderung, die es Wert ist,
angenommen zu werden.
Mit
großem Stolz (und vermutlich ein wenig Wehmut) wird Eckart Schott auf die letzten 14 Jahre zurückblicken. Mit dem Band
24 liegt jetzt endlich die große SPIRIT-Gesamtausgabe auf Deutsch vor. Die Reihe
WILL EISNERS SPIRIT ARCHIVE begann 2002 in Schotts Verlag Salleck Publications
zu erscheinen, übersetzt vom Verleger selbst. Auf mehr als 5.000 Seiten
summieren sich die insgesamt 645 Folgen von THE SPIRIT, die im
US-amerikanischen Original zwischen dem 2. Juni 1940 und dem 5. Oktober 1952
als Comic-Beilage in vielen Zeitungen veröffentlicht wurden. Welche Bedeutung
dieser von Will Eisner geschaffene
Comic hat, zeigt sich unter anderem in den Einleitungstexten zu dieser Edition,
die von Genre-Größen wie Alan Moore, Frank Miller, Darwyn Cook, Dave
Gibbons, Denis Kitchen und Paul
Levitz stammen. Die auch handwerklich hervorragend gemachten
Hardcover-Bücher mit ihren zweifarbigen Einbanddecken und den bunten
Schutzumschlägen (und in der Vorzugsausgabe mit ihren 24 signierten
Grafikbeilagen) bilden in Zukunft das Herzstück einer jeden Comic-Sammlung die
etwas auf sich hält. Die Normalausgabe ist noch komplett lieferbar, bei der
Vorzugsausgabe muss man sich nach den ersten Büchern inzwischen schon intensiv
antiquarisch umsehen. Allerdings sind WILL EISNERS SPIRIT ARCHIVE eine
Anschaffung fürs Leben!
„Nein, schicken
Sie mir bitte nicht Ihr Buch; ich lese keine Bücher, Winzer trinken ja auch
Bier. Außerdem kann mich das Jenseits am Arsch lecken; dazu sind sie da, das
Jenseits und der Arsch.“
Harry Rowohlt – „An einen
Bittsteller“; in: UND TSCHÜS (S. 89)
„Erhöhung auf
vier Dimensionen erfolgreich abgeschlossen. Sophon 1 erwartet Befehle.“
„> Erhöhe die
Anzahl der Dimensionen auf sechs.“
Cixin Liu – DIE DREI
SONNEN (S. 522)