Es gibt immer wieder so Momente, in denen ich innehalte
und einen Blick zurück werfe. Jetzt gerade ist solch ein Moment. In meiner an
Schätzen nicht gerade armen Bibliothek halte ich beim Buchstaben „A“ die drei
HELICONIA-Bände des Bechtermünz Verlags, die ich mir vor vielen Jahren auf
einer Convention von Brian W. Aldiss
signieren ließ, in besonderen Ehren. Und wenn dereinst jemand meine
Handbibliothek durchforstet, wird er verwundert auf die vielen hundert
Korrekturen und Anmerkungen blicken, die meine Ausgabe von DER MILLIARDEN JAHRE
TRAUM (Bastei) „zieren“. Wie kaum ein anderes Sekundärwerk zur Science Fiction
hat mich gerade diese Genre-Geschichte, die Aldiss in Zusammenarbeit mit David
Wingrove schrieb, zu Anerkennung und Widerspruch angeregt. Und das ist es wohl
auch, was Brian Wilson Aldiss so einzigartig machte: Seine unverstellte Zugänglichkeit.
Jedes seiner Werke vermittelt den Eindruck, dass da ein Mensch für Menschen
schreibt, fast so, als ob man einen langen Brief (keine E-Mail!) von einem
guten alten Bekannten liest. Obwohl seit vielen Jahren nichts Neues mehr von
ihm in Deutschland erschienen ist (nur die Edition Phantasia hält noch einen
Titel lieferbar), war er für mich doch immer irgendwie präsent. Am 19. August
2017, genau einen Tag nach seinem 92. Geburtstag, verstarb Brian Aldiss in
seinem Haus in Oxford – und ich hoffe, er konnte von seinen Freunden und
Verwandten noch einmal so richtig gefeiert werden und von allen Abschied
nehmen.
„Der dreiteilige Roman HELLICONIA: FRÜHLING / SOMMER / WINTER (erschienen von 1982 bis 1985, 1900 Seiten) ist von einer unglaublichen Wucht und Kraft. Ein Klotz in der SF-Landschaft, an dem man sich die Hörner der eigenen Vorurteile abstoßen kann. Brian Aldiss geht unbeirrt seinen Weg. Von der ersten Seite bis zum Ende des dritten Buches zieht sich die Geschichte, und als Leser hat man tatsächlich erst nach der Lektüre der letzten Seite einen Überblick über das Buch gewonnen. Vorher versucht man unwillkürlich, dem Werk seine eigenen Erwartungen aufzuzwingen, und wird ständig vom Autor überrascht. Die Idee eines Planeten mit einem Jahreszyklus, der etwa zweitausend irdische Jahre beträgt, wird stringent umgesetzt. Die Welt Helliconia wird von der Erde entdeckt und durch die Mannschaft einer im Orbit befindlichen Station beobachtet, die ihre Bilder zur Erde sendet. Dabei wird die Menschheitsgeschichte der nächsten 6000 Jahre gleich miterzählt. Hier zeigt Aldiss, was die Science Fiction leisten kann, wenn sie will. Eine großartige Idee, mit Hilfe von verschiedenen Wissenschaftlern stimmig gemacht, und eine voll ausgebildete Erzählkraft vereinen sich zu einem Roman, der spannend, lustig und episch die Geschichte einer Welt erzählt, in welcher der Leser schlußendlich heimisch wird. Am ehesten kann man noch an Olaf Stapledon und seine großen Zukunftsentwürfe denken. Philosophisch ist wohl die europäische Tradition von Fechner (die Idee der beseelten Erde: Gaia), über Laßwitz’ liebevollen Humanismus, zu Spengler und seinem zyklischen Weltbild als Quelle erkennbar. Das exzellente Nachwort von Florian Marzin gibt hier viele erklärende Hinweise.“
Herrmann Ibendorf – Rezension, in: TEMPORAMORES. Sonderausgabe
1 (S. 76)