Natürlich hat (Gast-)Herausgeber Hannes Riffel recht, der in seinem
(Gast-)Editorial in der Neuen Rundschau
darüber sinniert, dass es vermutlich mehr (also doch einige) Leser der Neuen Rundschau gibt, die mit dem
Begriff „Phantastik“ etwas anfangen können, als Phantastik-Leser, die wissen,
dass es die Neue Rundschau gibt
(nahezu Null). Um nun beiden Gruppen eine gemeinsame Lektüre zu ermöglichen,
hat der S. Fischer Verlag, in dem die Literaturzeitschrift Neue Rundschau seit 130 Jahren erscheint, aus dem Heft 1/2019 (ISBN
978-3-10-809117-0) eine Themenausgabe gemacht, die sich unter dem
(altehrwürdigen) Titel JENSEITS VON RAUM UND ZEIT mit der „phantastischen
Literatur im 21. Jahrhundert“ beschäftigt. Auf fast 300 Seiten bekommt die
Leserschaft in achtzehn Beiträgen die größtmögliche Qualität an aktueller
Primär- und Sekundärliteratur geboten, die sich auf so beschränktem Raum
unterbringen lässt: Kurzgeschichten von Andreas
Eschbach, Mary Robinette Kowal, Seth Dickinson und H. P. Lovecraft; Essays von Dietmar
Dath, Karen Nölle, Anja Kümmel und Ursula
K. Le Guin; Übersichtsartikel zum „Worldbuilding“ und zur Genregeschichte von Lars Schmeink, Franz Rottensteiner,
Erik Simon, Christian Endres, Karlheinz Steinmüller, Bernhard Hennen,
nochmals Andreas Eschbach und Helmut W. Pesch. Wie immer in solchen
Fällen handelt es sich um eine „Momentaufnahme“ – aber das vermittelte Bild ist
vielfarbig und von exzellenter Tiefenschärfe. Ein (Erkenntnis-)Gewinn für alle
Seiten.
Irgendwie hat man so das Gefühl, dass
unsere „Helden“ in letzter Zeit einfach nichts mehr veröffentlichen –
galaxisweite Schreibblockade? Aber nein. Daran ist wohl nur die eigene Ungeduld
schuld. Nachdem gerade erst Walter Moers
seinen BÜCHERDRACHEN losgeschickt hat, liegt jetzt der aktuelle Roman China Miévilles, DIE LETZTEN TAGE VON
NEU-PARIS (Golkonda, ISBN 978-3-946503-86-6, 250 Seiten, Klappenbroschur), in
den Regalen. Thema des Buches sind die französischen Surrealisten um André Breton, die sich im Jahr 1941,
anders als es uns die bisherige Geschichtsschreibung überliefert hat, mit den
nur ihnen eigenen Mitteln gegen die deutschen Besatzer zur Wehr setzen. Diese
alternative Zeitlinie, in der sich Nazis und Résistance einen endlosen Kampf um
die französische Hauptstadt liefern, bildet den Kern der Erzählung, die dann
zwischen 1950 und 1941 hin und her pendelt, jede Menge Haupt- und Nebenwerke
des Surrealismus zum Leben erwachen lässt, eine romantische Liebesgeschichte
nicht verschmäht und über den Romantext hinaus in das Nachwort und die
Anmerkungen des Autors hineinwuchert. Für den Übersetzer Andreas Fliedner alle Hochachtung: da war bestimmt ein kleines
Kunststudium nötig. Und für Moers-Apologeten streut Miéville auch noch eigene
kleine Zeichnungen ein. Insgesamt steckt deutlich mehr in diesem schmalen
Büchlein als es auf den ersten Blick scheint.
„Treibe auf keinen Fall Sport und sei so in dir ruhend wie
Tschernobyl. Verzichte grundsätzlich auf Psychopharmaka. Wer kann schon
schreiben, als glücklicher Mensch?“
Isabelle Lehn – ANKLEBEN
VERBOTEN! (Beilage zu Neue Rundschau,
Heft 1/2019)