Es wäre ja zu schön, wenn sich die Profis
einmal (einmal nur!) auch professionell verhalten würden. Aber dafür müsste ich
wohl in ein sehr alternatives Universum wechseln. Grund für das Gejammer ist der
Umgang der hochbezahlten Literaturkritik des deutschsprachigen Feuilletons mit
dem neuesten Roman des englischen Schriftstellers Ian McEwan, der als immerhin so wichtig angesehen wird, dass er
fast zeitgleich mit seinem Erscheinen allüberall an prominenter Stelle
ausführlich „besprochen“ wird. Trotz aller Ausführlichkeit war kein einziger
Rezensent in der Lage den korrekten Titel des Buches zu nennen, der da lautet
MASCHINEN WIE ICH UND MENSCHEN WIE IHR (Diogenes, ISBN 978-3-257-07068-2, 407
Seiten, Hardcover) jedoch durchgängig auf die ersten drei Worte reduziert
wurde. Dass es selbst der Verlag nicht besser macht (und auf seiner Homepage
auch noch einen falschen Preis nennt) ist auch kein Trost. Als Leser braucht
man sich um solche Kleinigkeiten ja nicht zu bekümmern, da kann man einfach
zugreifen und sich von einem der stilsichersten und sprachmächtigsten Autoren
der Gegenwart in eine kontrafaktische Alternativgeschichte entführen lassen, in
der ein als Kriegsheld gefeierter Alan
Turing praktisch im Alleingang für ein weit früher einsetzendes
Computerzeitalter gesorgt hat, sodass im Jahr 1982 neben dem Internet und
Handys bereits ein mit künstlicher Intelligenz ausgestattetes Modell eines
Androiden existiert. Wie sich im Verlauf der Handlung zeigt, ist jedoch auch in
dieser Welt der Mensch vor allem Mensch. Weshalb man auch den Titel, ganz so
wie vom Autor hingeschrieben und von Bernhard
Robben wortgetreu übersetzt, MACHINES LIKE ME (AND PEOPLE LIKE YOU) in
Gänze als MASCHINEN WIE ICH UND MENSCHEN WIE IHR mitdenken und zitieren sollte.
Ein Buch, an dem in diesem Frühjahr kein Weg vorbeiführt.
Nein, ich werde dieses Buch nicht lesen.
Es reicht mir völlig, dass ich es in meine Sammlung stellen kann. Warum ich es
trotzdem empfehle? Weil GRM (Kiepenheuer & Witsch, ISBN 978-3-462-05143-8,
640 Seiten), das neue Werk von Sibylle
Berg, einfach danach schreit, dass man dieses wunderschön gemachte
Hardcover in die Hand nimmt, nur um dann seinem Zauber zu erliegen. Dabei
vermischen sich altmodische buchkünstlerische Qualitäten (ornamental geprägter
Einband, Lesebändchen, Papierqualität, Satzspiegel) mit höchstem literarischem
Anspruch. GRM bezieht sich auf die aus London kommende Musikrichtung „Grime“
und lässt so durchaus schon im Titel anklingen, dass die derzeitige
Underground- und Popkultur nicht ganz unwichtig für die Handlung ist. Der als
„Brainfuck“ daherkommende Romantext spielt in der nächsten Zukunft und ist als
Experiment einfach spannend genug angelegt, sodass aufgeweckte LeserInnen
einfach mal einen Versuch mit GRM starten sollten.
Bei DvR wurde mit BRÜCKEN ÜBER DEM
WELTENRAUM (ISBN 978-3-945807-45-3) von Ludwig
Anton ein seltener Zukunftsroman aus dem Jahr 1922 neu aufgelegt.
„Science-Fiction interessiert mich nicht.“
Ian MeEwan – Interview; Süddeutsche Zeitung (21. Mai 2019)