Dass H.
G. Wells auch in seinen späten Jahren noch in der Lage war, sehr unterhaltsame
Science Fiction zu produzieren, belegt der soeben in der Edition Phantasia
erschienene Kurzroman DIE ERSCHEINUNG VON CAMFORD (ISBN 978-3-947122-02-8, 121
Seiten), der im Original erstmals 1937 veröffentlicht wurde. Eines schönen
Morgens ertönt im Frühstücksraum der englischen Eliteuniversität Camford die
Stimme eines Unsichtbaren, der den Anwesenden allerlei Vorhaltungen über ihre
Dummheit macht. Der Sprecher gibt sich im Verlauf des Buches als überdimensionales
Wesen zu erkennen, das seit vielen Jahrmillionen das Universum durchstreift und
dabei auf die Menschen gestoßen ist und an ihnen Gefallen gefunden hat. Da ihn
die Entwicklung beunruhigt, welche die menschliche Gesellschaft in den letzten
Jahren genommen hat, versucht er, an der Spitze der Intelligenz-Pyramide
ansetzend, herauszufinden, wieso es mit der Bildung, dem Wissen, der
Information auf der Erde so schlecht steht. Trotz seiner klugen Fragen und
seinem Insistieren auf diesem Problem, beschäftigt es die Menschen jedoch viel
mehr, woher die Stimme kommt. Die satirische Erzählung hat bis heute nichts von
ihrer Frische und Schärfe verloren und ist eine echte Entdeckung, für die man
dem Herausgeber und Übersetzer Joachim
Körber nur dankbar sein kann. Der auf 250 Exemplare limitierte Pappband steckt
in einem grauen Samtschuber. Der Text wurde von Alexandra F. illustriert und das Nachwort von Horst Illmer bietet weiterführende Informationen. Sehr
empfehlenswert.
Kurzer, aber ernst gemeinter Hinweis: Die Dreiviertelhundert-Jubiläumsausgabe
Nummer 75 von phantastisch! neues aus anderen welten (Atlantis) ist
erschienen. Unbedingt reinschauen!
Noch ein kurzer, ernst gemeinter Hinweis:
Der letzte Roman des englischen New Wave-Miterfinders James Graham Ballard (geschrieben 2006) ist soeben bei Diaphanes
unter dem Titel DAS REICH KOMMT (ISBN 978-3-0358-0136-1, 370 Seiten,
kartoniert) als deutsche Erstveröffentlichung
erschienen. Düster, grausam, voller schwarzem Humor und absolut großartig
geschrieben – ein spätes Meisterwerk!
Und zum Schluss noch ein etwas
fragwürdiger Hinweis: Die 1982 in den USA geborene, dann aber in Wien
aufgewachsene Ann Cotten schreibt,
seit sie 2006 ihr Germanistikstudium beendet hat, auf Deutsch Gedichte,
Erzählungen und Essays. Seit 2007 hat sie jedes Jahr mindestens ein Buch veröffentlicht
und etwa ein Dutzend Preise dafür bekommen. Ihr aktuelles Buch trägt den Titel
LYOPHILIA (Suhrkamp, ISBN 978-3-518-42869-6, 463 S.), enthält zwölf
Geschichten, die sie selbst als „Science Fiction auf Hegel-Basis“ bezeichnet
und ist in einer sehr modernen, kraftvollen und experimentierfreudigen Sprache
verfasst. Die Bezüge zwischen „normalem“ Alltag und „echter“ Science Fiction
sind hier fließend und spielerisch vermischt. Dazu gibt es eine sehr
eigenwillige Neuinterpretation der Wells’schen ZEITMASCHINE. Spannend!
„In den progressiven Teilen dieses Buches wird das sogenannte
»polnische« Gendering benutzt: Alle für alle Geschlechter nötigen Buchstaben
kommen in gefälliger Reihenfolge ans Wortende.“
Ann Cotten – LYOPHILIA (S. 4)