Das ist schon sehr, sehr clever: Nach dem weltweiten Erfolg, den George Saunders 2017 mit seinem ersten
Roman, dem anrührenden Totengespräch LINCOLN IM BARDO, hatte, durfte man sehr
gespannt sein, was er als nächstes schreiben würde. Da Saunders offenbar ein
kluger Kopf ist – und schreiben kann, wie derzeit kaum ein zweiter amerikanischer
Autor –, hat er einen relativ kurzen Text verfasst (in der deutschen
Übersetzung von Frank Heibert,
inklusive der Illustrationen von Chelsea
Cardinal, nicht mal 50 Seiten): die Tierfabel FUCHS 8 (Luchterhand, ISBN
978-3-630-87620-7). Damit unterläuft er nicht nur alle an ihn gestellten
Erwartungen, sondern zeigt erneut, dass seine größte Begabung nach wie vor die
kurze Form ist. Nicht umsonst wird er seit zwanzig Jahren zu den besten
Story-Autoren der Gegenwart gezählt. Auch FUCHS 8 ist ein literarisches Juwel.
Die vom kleinen Fuchs in Lautschrift erzählte Geschichte seines Lebens, wie er
die Menschensprache erlernte, dadurch Liebe und Vertrauen in unsere Gattung
entwickelte, von uns zutiefst enttäuscht wurde und trotzdem nicht verzagt – das
ist Literatur auf Weltniveau. Und weil ja irgendwie jede Zeit die Bücher hat,
die sie verdient (oder braucht), kann man wohl sagen, dass FUCHS 8 so was wie
DER KLEINE PRINZ fürs 21. Jahrhundert ist. Eine beeindruckende Lektüre und ein
wundervolles Geschenk für liebe Menschen (trotzdem!).
Was ist der Mensch, wenn er nicht träumen kann/darf? Vor dreißig
Jahren untersuchte (und beantwortete) das Schriftsteller-Ehepaar Angela & Karlheinz Steinmüller
diese Frage in ihrem Roman DER TRAUMMEISTER. Jetzt ist dieser tief philosophische
und emotional bewegende Science-Fiction-Roman, der lange Zeit nicht mehr
zugänglich war, im Rahmen der Werkausgabe bei Memoranda (Band 4, ISBN
978-3-948616-36-6, 315 Seiten, Klappenbroschur) neu aufgelegt worden. Ergänzend
hinzugefügt haben die Verfasser eine „Handreichung“ zur Geschichte ihrer
Traum-Stadt Miscara (inklusive eines Stadtplans) und ein nagelneues Nachwort,
in dem sie interessante Anekdoten zur Quellenforschung erzählen. Nicht nur für
Komplettisten ein Muss!
Menschen, die alleine durch den Wald laufen und dabei (mehr oder
weniger) leise vor sich hin sprechen – dieses derzeit sehr bekannt wirkende
Szenario stammt nicht aus einem Artikel in der gestrigen Zeitung, sondern aus
dem 1953 geschriebenen utopischen Meisterwerk FAHRENHEIT 451 (div. Ausgaben bei
Diogenes und Heyne) von Ray Bradbury.
Diesen unvergänglichen Roman zu lesen (oder zu hören) lohnt sich ja immer –
aber gerade jetzt sei er als „Trostbüchlein“ wieder einmal in Erinnerung
gerufen.
„Was ich hasse, ist ein Römer namens Status
quo. Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als hättet ihr nur noch zehn
Sekunden zu leben. Seht euch die Welt an. Sie ist phantastischer als jeder in
einer Fabrik hergestellte Traum. Verlangt keine Sicherheit, so ein Tier hat es
in unserer Welt nie gegeben. Und wenn es das gäbe, wäre es mit dem Faultier
verwandt, das tagaus, tagein mit dem Kopf nach unten am Ast hängt und sein
Leben verschläft. Zum Teufel damit, schüttelt am Baum, so dass das Faultier
herunterfällt auf seinen breiten Hintern.“
Ray Bradbury – Fahrenheit
451 (S. 179)