Ebenso regelmäßig wie gerne erfolgt an
dieser Stelle quartalsweise der Hinweis auf die jeweils aktuelle Ausgabe
unseres Lieblingsmagazins phantastisch!,
das mit der Nummer 78 (2/2020) einen neuen Untertitel führt: „Seit zwanzig
Jahren das Magazin für Science Fiction, Fantasy & Horror“. Reicht
eigentlich, aber kurz noch ein paar der Beiträge, die unbedingt lesenswert sind.
Eigentlich müsste der Umschlag diesmal einen Trauerrand haben, denn so viele
Nachrufe waren noch nie: Christopher
Tolkien, Gahan Wilson, Rolf Bingenheimer, Alasdair Gray, Syd Mead, Mike Resnick
und Gudrun Pausewang erfahren die
ihnen zustehende Würdigung. Es gibt zwei tolle neue Stories von Thomas Kodnar und Markus K. Korb. Und die Zahl der „Local Heroes“ aus Würzburg, die
am Heft mitarbeiten, ist auch schon wieder gestiegen …
Kurz und knapp auch der Hinweis auf einen
deutschen SF-Thriller: Wer, wie ich, von Tom
Hillenbrands Roman HOLOGRAMMATICA begeistert war, wird sich freuen, das mit
QUBE (KiWi-TB 1723, 555 Seiten) soeben ein zweiter Roman aus dieser
faszinierenden Zukunftswelt am Ende des 21. Jahrhunderts erschienen ist. Rasend
spannende und originelle Lektüre von einem Autor, der sich diese Genre-Arbeiten
quasi zur Erholung von seinen ewigen Bestseller-Erfolgen mit „kulinarischen
Krimis“ gönnt.
Keine Ahnung, was gerade bei Heyne los
ist, aber vielleicht ist es auch nur Zufall, dass in der letzten Woche gleich
drei interessante Erstlingsromane von Autorinnen erschienen sind. Die 1976 in
Kairo geborene Basma Abdel Aziz
schreibt in DAS TOR (ISBN 978-3-453-32046-8, 280 Seiten) über das Leben in
einem nahöstlichen Land, das sich anfühlt, als hätten George Orwell, Franz Kafka und
Frank Herbert alle Zutaten, die ihnen für ihre eigenen Meisterwerke zu
schrecklich waren, in einen Topf geworfen und kräftig umgerührt.
Bei H.
G. Parrys DIE UNGLAUBLICHE FLUCHT DES URIAH HEEP (ISBN 978-3-453-32068-0)
handelt es sich um eine 600 Seiten lange Liebeserklärung an das Lesen,
geschrieben von einer jungen, neuen Autorin
aus Wellington, Neuseeland. Das Thema der zum Leben erwachten literarischen
Figur wurde ja schon öfter, u. a. von Jasper
Fforde und Cornelia Funke,
aufgegriffen, aber es macht einfach Spaß, den eigenen Lieblings-Helden oder
-Bösewichtern in ein „Real-Life-Adventure“ zu folgen.
Ebenfalls aus Neuseeland stammt die 1985
geborene Tamsyn Muir, deren Debütroman
ICH BIN GIDEON (ISBN 978-3-453-42373-2, 600 Seiten) nicht nur der Auftaktband
einer Fantasy-SF-Crossover-Trilogie ist, sondern die damit auch gleich einen
Crawford Award gewann und sowohl für die Nebula wie HUGO Awards 2020 nominiert
wurde. Muirs Heldin Gideon ist jung, vorlaut, lesbisch und eine vorzügliche
Schwertkämpferin – und ihre Geschichte zudem spannend und originell genug, um
weit mehr als die jungen, vorlauten, lesbischen Leserinnen der
prognostizierbaren Zielgruppe anzusprechen.
Ein chinesischer Science-Fiction-Autor,
der versucht, die von ihm als rückständig empfundene chinesische Science
Fiction zumindest auf das Niveau eines Arthur
C. Clarke voranzubringen – so etwa mag man sich den 1963 geborenen Cixin Liu vorstellen, während er im
Jahr 2000 an seinem Roman KUGELBLITZ (ISBN 978-3-453-32030-7, 540 Seiten)
arbeitete. Das Ergebnis ist dann natürlich kein systemveränderndes New Wave-Experiment geworden, aber
immerhin ein gut lesbarer Hard SF-Roman, der durchaus mit einem originellen
Setting, tollen Ideen und einer konsequent zu Ende erzählten Geschichte punkten
kann. Als Ergänzung zu Lius bisher auf Deutsch vorliegendem Erzählwerk durchaus
empfehlenswert.
Es ist heute genau 50 Jahre her – da
erschien die letzte LP der BEATLES und dann war Schluss! Na ja, nicht wirklich.
Es gab dann doch noch ein paar andere Lieder, Platten, Bands, Künstler,
Songschreiber, Performer welche die Fackel weitertrugen. Aber der Dualismus
BEATLES oder ROLLING STONES war dahin, das Feld der Rockmusik wurde ein weites
– und irgendwie auch freieres. Die Figurenvielfalt des SGT. PEPPERS-Covers
hatte sich in die wirklich-wirkliche Welt transformiert und die Musik kam jetzt
von „Acts“ wie Donovan, Elton John oder David Bowie. Diese Zeit wurde eine
prägende für viele Menschen – unter ihnen Künstler wie Michael Allred und Neil
Gaiman. Was uns letztlich zum Grund dieser Besprechung führt: zu BOWIE
(ISBN 978-3-96658-081-6), einer 160-Seiten-Grafic-Novel-Biografie von David
Bowie, gezeichnet von Michael Allred, der gemeinsam mit Steve Horton auch für den Text verantwortlich ist. Die deutsche
Ausgabe bei cross cult trägt den etwas enigmatischen Untertitel „Sternenstaub,
Strahlenkanonen und Tagträume“ und hat ein Vorwort von Neil Gaiman sowie im
Anhang ein Nachwort von Allred und ein paar Zusatzbilder. Das Leben von David
Robert Jones, bekannt als David Bowie, währte von 1947 bis 2016 – und es war
mindestens so bunt und ausgefallen wie jede einzelne von Allreds hypergenialen
Zeichnungen.
Über DAS SCHLOSS IN DEN STERNEN von Alex Alice muss man eigentlich keine
großen Worte verlieren. Es reicht völlig, das Erscheinen von Band 4 der Reihe
zu vermelden, der den Titel EIN FRANZOSE AUF DEM MARS (ISBN 978-3-95839-096-6,
80 Seiten) trägt und soeben bei Splitter erschienen ist. Wer die ersten drei
Teile kennt, wird auf diese Fortsetzung gewartet haben – alle anderen gehen
zurück auf LOS und fangen vorne an.
„Manche Dinge
entwischen beim Nachdenken: das Lesen gehört dazu. Wir tun es vielfältig und
sammeln einschlägige Erfahrungen, und doch fällt es schwer, das Lesen zu
reflektieren. Ist es eine Ablenkung vom Alltag? Romanverschlingende Menschen
bekennen sich dazu. Führt es zur Vertiefung des Wissens? Lehrende und Forschende
nicken mit dem Kopf. Macht es süchtig? Auch das ist möglich. Macht es Mühe?
Unter Umständen schon, denn Lesen begleitet auch das Lernen, in der Schule und
außerhalb davon.“
Ulrich Johannes Schneider – „Über das Lesen als Problem“; in: DER
FINGER IM BUCH (S.7)
„Es war mein
Geburtstag, doch daran erinnerte ich mich erst, als meine Eltern am Abend die
Kerzen auf dem Geburtstagskuchen anzündeten und wir uns zu dritt um die
vierzehn kleinen Flammen herum setzten.“
Cixn Liu – KUGELBLITZ (S. 9)
„Ich habe Neil,
wie er beschreibt, zum ersten Mal getroffen, bevor mein Hobby als Comiczeichner
zum Beruf wurde. Das nächste Mal trafen wir uns bei den Harvey Awards, wo ich
als ‚bestes neues Talent‘ und Neil für ‚alles andere‘ nominiert war. Irgendwie
begannen wir uns bei dem Bankett über David Bowie und über das in unseren Augen
unterschätzte Diamond-Dogs-Album zu unterhalten. Spontan rezitierten wir beide
unisono das gesamte ‚Future-Legend‘-Intro. Alle um uns herum hielten uns für
völlig durchgeknallt. Hört euch das Stück noch mal an, um euch vorstellen zu
können, wie das geklungen haben muss, als wir bis zum Ende immer lauter
wurden.“
Michael Allred – „Danksagungen“; in: BOWIE (unpaginiert)
„Im
unzähligen Jahr des Herrn – dem zehntausendsten Jahr des Unsterblichen Königs,
des gnädigen Fürsten des Todes! – packte Gideon Nav ihr Schwert, ihre Schuhe
und ihre Pornoheftchen zusammen und floh vom Haus des Neunten.“
Tamsyn Muir – ICH BIN
GIDEON (S. 15)