TEMPORAMORES - Newsletter # 336 - 26.2.21




KURZMELDUNGEN

FESTA, der Verlag bei dem „Lesen zur Mutprobe“ wird, segmentiert sein immer umfangreicher werdendes Programm in Reihen wie MUST READ oder SPECIAL. In letzterer ist Anfang 2021 der Kurzroman MURGUNSTRUMM von Pulp-Hero Hugh B. Cave (1910–2004) als Deutsche Erstausgabe erschienen. Die spannend-gruselige Erzählung aus dem Jahr 1933 wurde von Susanne Picard ins Deutsche gebracht, das Cover und die Illustrationen stammen von Lee Brown Coye (1907–1981), einem der bekanntesten Zeichner von Schwarzweiß-Bildern für amerikanische Horror-Magazine. Das mit dreiseitigem Farbschnitt und Lesebändchen aufwändig gestaltete Hardcover ist ohne ISBN und nur beim Verlag erhältlich.

Merkwürdige Zeiten sind das, wenn eine der (völlig zu Recht) beliebtesten Figuren aus einem aktuellen Science-Fiction-Roman ein geläuterter „Killerbot“ ist (also eine Kampfmaschine, die ursprünglich mal dafür gedacht war, auf Befehl alles zu zerstören was als Ziel genannt wurde). Doch genau darum geht es in den Geschichten von Martha Wells, von denen die ersten vier vor einiger Zeit unter dem Titel TAGEBUCH EINES KILLERBOTS bei Heyne erschienen. Jetzt ist mit DER NETZWERK-EFFEKT das erste Killerbot-Abenteuer in Romanlänge in den Buch­handlungen – und auch nach fast 500 Seiten will man einfach immer weiter lesen. Denn diese Killerbot-Einheit ist einfach – ja, sorry! – „knuddelig“. Es macht unglaublichen Spaß mit dabei zu sein, wenn Killerbot damit Probleme hat, nach einer gefährlichen Rettungsmission und einem nur knapp vermiedenen „Totalschaden“, den Handlungsfaden der TV-Serie Zeitpatrouille Orion wieder aufzunehmen („wozu es eigentlich nicht viel brauchte“, S. 459) und dann langsam die Erkenntnis dämmert, dass sich neben Menschen auch ein Fifo („fieses Forschungsschiff“) für soziale Interaktionen eignet. Da verschlägt es selbst Killerbot (für ganze 2,2 Sekunden) die Sprache!

Eine echte Überraschung hat das Orwell-Jahr 2021 dann doch auch zu bieten: Einen richtigen Science-Fiction-Roman des leider viel zu früh verstorbenen schottischen Bestsellerautors Philip Kerr (1956–2018), der vor allem mit seinen Berlin-Krimis um den Privatermittler Bernie Gunther und seiner Jugend-Fantasy-Reihe DIE KINDER DES DSCHINN bekannt ist. Bereits 2015 übergab er seiner deutschen Lektorin Christiane Steen das Manuskript von „1984.4“. Steen hat den Roman nun bei Rowohlt-Rotfuchs als posthume Welt-Erstveröffentlichung im Hardcover herausgegeben. Auf knappen 320 Seiten erzählt Kerr hier eine düstere, im Jahr 2034 angesiedelte Coming-of-Age-Geschichte, die zwar auf George Orwells Grundideen zurückgreift, daraus jedoch eine völlig eigenständige Welt entwickelt. Dort wird nicht mehr gegen andere Nationen gekämpft, sondern gegen die alten Menschen, die nicht „freiwillig“ aus dem Leben (und dem Sozialsystem) scheiden wollen.  Ob uns Heutigen diese neue Version von „1984.4“  jedoch „besser mundet“ als das Winston-Smith-England des originalen „1984“ darf/muss jede/r Leser/in selbst kosten.



ZITAT

„ICH HASSE WINSTON“
„ICH HASSE WINSTON“
„ICH HASSE WINSTON“
„ICH HASSE WINSTON“
„ICH HASSE WINSTON“

Philip Kerr 1984.4 (S. 156)



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