Der Sommer zeigt nochmal die
Zähne, aber gegen den heftig anbrausenden Bücher-Herbst ist das doch nur noch ein
Rückzugsgefecht. Schreiten wir also zur „Blütenlese“:
Im gewohnten
Halbjahresrhythmus legt Heyne den neuen Roman von Stephen King vor. Der Titelheld BILLY SUMMERS (ISBN 978-453-27359-7, 720
S.) ist zwar ein Auftragskiller, aber eigentlich auch ganz liebenswert.
Jedenfalls, wenn man nicht auf seiner Liste steht und dringend Hilfe braucht.
Kings neuestes Werk ist eine süffig zu lesende Mischung aus Psychothriller und
Kammerspiel, besitzt eine kleine Schar Protagonisten, die man sofort ins Herz
schließt und hat mit der metaliterarischen Volte eines Romans im Roman auch
stilistisch einiges zu bieten. Eines von den guten King-Büchern.
Einerseits
schätze ich Sascha Mamczak als
Verfasser wohldurchdachter, philosophisch gut begründeter Essays, die regelmäßig
auf www.diezukunft.de erscheinen.
Andererseits schrieb er 2014 mit DIE ZUKUNFT. EINE EINFÜHRUNG ein Sachbuch, das
mich zutiefst verstörte. Jetzt erklärt uns Mamczak „die“ Science Fiction auf
den 100 kleinformatigen Seiten eines Reclam-Bändchens mit dem unschlagbar
komplexen Titel SCIENCE-FICTION. 100 SEITEN (ISBN 978-3-15-020574-7). 102
Seiten später (zwei Seiten mit „Lese- und Filmtipps“ wurden aus der Zählung
genommen) weiß ich etwas mehr: Mamczaks Text ist sehr gut durchkonzipiert. Er
enthält alles, was ein Kenner als unverzichtbar ansehen würde. Er ist gut
lesbar und anschaulich geschrieben (inklusiver einiger Abbildungen und
Schautafeln zur Auflockerung). Er betrachtet die Science-Fiction als
Medienverbund und legt das Hauptaugenmerk auf die enge Verbindung von Text und
Film. In vier Schritten (Grundlagen, Entwicklung, Etablierung, Ausblick) zeigt
Mamczak, was es braucht, um die Science-Fiction als genuin künstlerische
Darstellung unserer Gegenwart (und Zukunft) zu erkennen. Und er zeigt auch,
dass für „die“ Science Fiction weder 100 noch 1000 Seiten noch ein ganzes Leben
ausreichen. So macht Zukunft wieder Spaß!
1150 Seiten Umfang hat CORVUS
(Goldmann, ISBN 978-3-442-31542-0), der neue Roman von Neal Stephenson, der im Original bereits 2019 erschienen ist. Um
die Buchhändler und Journalisten darauf „einzustimmen“, gibt es ein über 80
Seiten starkes „Leseheft“ mit Leseprobe, einem Exklusiv-Interview und einer
Zusammenfasssung. Puh! Scheint ja in keine Schublade zu passen. Ich versuch’s
mal trotzdem: „William Gibson meets J. R. R. Tolkien oder Engel im Cyberspace“.
Stephenson-Fans mögen mir verzeihen.
Am 12. September 2021 wäre der
polnische Schriftsteller Stanislaw Lem
einhundert Jahre alt geworden. Rechtzeitig dazu gibt es jetzt eine Biografie,
die seinen Namen trägt (WBG/Theiss, ISBN 978-3-8062-4248-5, 272 S.) und in der
ein Prof. Dr. Alfred Gall mit großem
Fleiß alles Wissenswerte zu Leben und Werk
des „ dialektischen Weisen aus Krakau“ zusammengetragen hat.
„Gebt mir ein Seilende!“, befahl Corvus. „Und
haltet euch gut fest!“ Zufälligerweise waren Seile so ziemlich alles, was ihnen
geblieben war.
Neal Stephenson – CORVUS (S. 1026)