Fast schon ein liebgewonnenes
Ritual – aber immer noch ist DAS SCIENCE FICTION JAHR das einzige Sekundärwerk,
auf dessen Erscheinen ich mich regelmäßig schon lange im Voraus freue. Und auch
die 36. Ausgabe 2021 (Hirnkost, ISBN 978-3-949452-12-3) hat mich nicht enttäuscht.
Um nicht einfach nur das Inhaltsverzeichnis abzuschreiben, hier eine launige
Kurz-Interpretation der Beiträge: Die Welt geht unter, aber wir SF-Leser
wussten das wenigstens schon vorher wie gleich ein Dutzend Artikel beweisen. Stanislaw Lem wäre 2021 einhundert
Jahre alt geworden, auch dieses Ereignis wird intensiv, spielerisch und
philosophisch gewürdigt. 200 Seiten Buchbesprechungen unterschiedlicher Länge
versprechen unglaublich viel Information (und jede Menge „Nachkauf-Bedarf“).
Etwas kürzer dann Comics, Film, TV, Spiele – etwas umfänglicher die
Statistik-Sektion (Preise, Nachrufe, Bibliografie). Highlights: Christian Endres interviewt elf Orwell-Neu-ÜbersetzerInnen, Bernd Flessner und Karlheinz Steinmüller über ihre Lem-Eindrücke und Simon
Spiegel liest ausführlich in Dietmar
Daths NIEGESCHICHTE. Nach 600 Seiten purem SF-Input lautet das Fazit: Ich
freue mich jetzt schon auf DAS SCIENCE FICTION JAHR 2022!
Auf dieses Buch hat die Welt
gewartet. Und wenn nicht die Welt, so jedenfalls meine Wenigkeit, denn ich bin
es leid, immer und immer wieder zu lesen (und zu hören), was alles nicht geht. Aber auf den guten alten Kim Stanley Robinson kann man sich halt
verlassen! Immer wenn man glaubt, es gäbe keine Utopien mehr, kommt dieser
altgediente Kämpe daher und zeigt uns, was alles möglich ist!! Sein neuester Roman trägt den unschlagbaren Titel DAS
MINISTERIUM FÜR DIE ZUKUNFT (Heyne, ISBN 978-3-453-32170-0, 717 S.) und er
beginnt mit einer Katastrophensequenz, die so wie beschrieben tatsächlich
Morgen oder nächste Woche passieren könnte. Was sie von andren Katastrophen
unterscheidet (jedenfalls bei Robinson) ist, dass jemand daraus Konsequenzen
zieht. „Jemand“ sind hier viele, teilweise sehr unterschiedliche, Individuen
und Gruppen, und auch die „Konsequenzen“ reichen von verstärkter politischer
Arbeit bis hin zu brutalstem Ökoterrorismus und staatlichen
Kurzschlussreaktionen. Allerdings entwickelt sich in DAS MINISTERIUM FÜR DIE
ZUKUNFT daraus keine Apokalypse, sondern all diese Reaktionen führen zur
Akkumulation von etwas Positivem, zu einem Umdenken bei so vielen Menschen,
dass erstmals seit vielen Jahrzehnten ein Lichtstreif am Horizont auftaucht und
eine klimaneutralere, gerechtere Welt vorstellbar wird. Robinson bietet keine
fertigen Lösungen an, aber er zeigt Wege und Möglichkeiten, und wie seine
Protagonisten Mary und Frank müssen wir uns schon selbst entscheiden, welchen
Weg wir gehen, welche Möglichkeit wir ergreifen wollen. Barack Obama hat jedenfalls Recht mit seinem auf dem Cover
zitierten Ausspruch: „EINES DER WICHTIGSTEN BÜCHER DES JAHRES!“
Trotz aller Widrigkeiten (der
Verlagsort Stolberg gehört zum Flutkatastrophengebiet) ist die aktuelle Nummer
84 der phantastisch! (Atlantis)
pünktlich erschienen. Respekt schon mal dafür. Hinter dem tollen Cover von Dirk Berger folgen 88 vollgepackte
Seiten mit Interviews, Buchbesprechungen, Artikeln, Comics und Cartoons sowie
zwei Kurzgeschichten, diesmal von Christian
Endres und Roland Grohs (plus
eine „Microstory“ von Volker Dornemann).
Von
Neal Stephenson ist die Neuausgabe
seines Frühwerks SNOW CRASH (ISBN 978-3-596-70559-7, 572 S.) eingetrudelt. Der
1992 erstmals im Original erschienene Cyberpunk-Kult-Roman gehört seit seiner
ersten Deutschen Ausgabe, die Joachim
Körber 1995 für Goldmann anfertigte, zu den gesuchtesten
„Den-musst-Du-gelesen-haben“-Titeln des Autors. Jetzt hat TOR bei Alexander Weber eine komplette
Neuübersetzung in Auftrag gegeben, die natürlich keinen „anderen“ Roman aus dem
Hut zaubert, aber doch zeigt, dass gerade solche „Zeitgeist“-Bücher durch eine
Sprachauffrischung nur gewinnen können. Bei der (erneuten) Lektüre erweist sich
SNOW CRASH dann als überaus flott zu lesende Science Fiction, die im Gegensatz
zu vielen zeitgleich erschienenen Titeln auch nach dreißig Jahren immer noch
Punkten kann. Die Fans von Ernest Clines
READY PLAYER ONE kommen hier jedenfalls voll auf ihre Kosten und sehen dabei
auch noch, wo die heutige Blütenpracht der VR-Games ihre Wurzeln hat.
Man durfte gespannt sein, was
sich Andreas Eschbach nach seinem
2020er Blockbuster-Titel EINES MENSCHEN FLÜGEL als nächstes einfallen lassen würde.
Nun ist bei Arena mit GLISS – TÖDLICHE WEITE (ISBN 978-3-401-60581-4, 450 S.)
ein Jugendbuch erschienen, in dem der gebürtige Schwabe einige der Themen aus
dem letztjährigen TEMPORAMORES-Award-Gewinnertitel recycelt. Eine in der
Abgeschiedenheit der „Gliss“-Weite lebende Gruppe Menschen hält sich für das
Zentrum der Welt und hält daran fest, bis Ereignisse von Außerhalb diesen
Mythos zerbrechen lassen. Drei jugendliche Freunde nehmen ihr Herz in die Hand
und verlassen ihre Heimat – was sie dabei entdecken, verändert nicht nur ihr
Dorf, sondern eine ganze Welt. Für die 1. Auflage spendierte der Verlag einen
dreiseitigen Farbschnitt, ein Lesebändchen und eine signierte Grußbotschaft
Eschbachs auf dem Vorsatzpapier: die Sammler wird’s freuen.
So müssen Bücher über Drachen
aussehen: Riesenformat und jede Menge Gold! Der Prestel Verlag hat mit DIE
HÜTERIN DER DRACHEN (ISBN 978-3-7913-7483-3, 75 S., Hardcover im Überformat)
ein absolut begeisterndes „Buch für Alle“ vorgelegt. Der Text stammt von Emma Roberts, die unter dem Pseudonym Curatoria Draconis auch gleichzeitig
die „Hüterin der Drachen“ und Chefin der Drachen-Arche ist, die Bilder schuf Tomislav Tomic, das englische Original
erschien 2020 unter dem Titel DRAGON ARK. Es geht in diesem illustrierten „Sachbuch“,
das den Untertitel „Auf der Suche nach dem letzten Himmelsdrachen“ trägt,
darum, dass der Lebensraum für Drachen auf unserer Welt immer weiter schrumpft.
Die Mission der Drachen-Arche ist also die Rettung der letzten Drachen. Dazu
bereisen die Crew-Mitglieder der Arche mit ihrem Schiff die Weltmeere und
suchen auf allen Kontinenten nach den letzten Exemplaren der diversen Drachen-Unterarten.
Was ihnen noch fehlt ist der Himmelsdrache Tian Long, der seit Jahrhunderten
nicht mehr gesichtet wurde, aber Curatoria Draconis hofft, in den
unzugänglichen Urwäldern des Jangtse doch noch fündig zu werden. Das Ergebnis
zeigt die letzte Doppelseite im Format 37 mal 55 Zentimeter. DIE HÜTERIN DER
DRACHEN ist ein Bilderbuch für Drachenliebhaber, das im Stil eines
Biologie-Lehrbuchs eine Reihe mythischer Wesen aus den Nebeln des Vergessens in
Bewusstsein zurückholt. Es ist hiermit offiziell meine erste
„Weihnachtsgeschenk-Empfehlung“!
Und noch etwas für alle Menschen,
die glauben, dass 25 verschiedene Ausgaben von DER HERR DER RINGE noch lange
nicht genug sind. In der Hobbit Presse des Klett-Cotta Verlags ist soeben eine
weitere Variante von J. R. R. Tolkiens
Hauptwerk erschienen. Die einbändige Luxusausgabe (ISBN 978-3-608-98080-6) ist
eine „Weltpremiere“: Erstmals werden hier die Illustrationen des Autors
verwendet! Insgesamt 34 farbige Abbildungen sind enthalten, dazu zwei Karten
von Christopher Tolkien.
Ausstattung: Leinen, Fadenheftung, Farbschnitt mit Elben-Runen, Schutzumschlag,
zwei Lesebändchen, farbiger Schuber – mehr geht nicht!
„Der Deliverator gehört einem Eliteorden an,
einer geheiligten Subkategorie. Er ist motiviert bis in die Haarspitzen. Seine
Uniform ist schwarz wie Aktivkohle, so schwarz, dass sie das Licht förmlich aus
der Luft saugt. Kugeln würden von dem Gewebe aus Arachnofasern abprallen wie
ein Zaunkönig, der gegen eine Verandatür kracht, überschüssiger Schweiß jedoch
weht sanft hindurch wie eine laue Brise durch einen frisch napalmbombardierten
Wald.“
Neal Stephenson – SNOW CRASH (S. 7)