TEMPORAMORES - Newsletter # 366 - 28.11.2022




NACHRUF

Am 19. November 2022 verstarb der US-amerikanische Schriftsteller Greg Bear in seiner Heimat­stadt Seattle im Alter von 71 Jahren. Geboren wurde Bear am 20. August 1951 im kalifornischen San Diego, wo er auch studierte. Nachdem er 1983 Astrid Anderson heiratete, die Tochter von Poul und Karen Anderson, startete er eine erfolgreiche Karriere als Autor von mehr als 50 Büchern. Bear war ein Vertreter der „harten“ Science Fiction; zu seinen bekanntesten Werken gehören Romane wie DIE STADT AM ENDE DER ZEIT, DAS DARWIN-VIRUS und dessen Fortsetzung DIE DARWIN-KINDER, ÄON, BLUTMUSIK, HEIMAT MARS oder SLANT. Zudem schrieb er Technothriller (JÄGER, QUANTICO) sowie Serien-Romane im STAR TREK- und HALO-Universum. Bear erhielt alle großen SF-Preise, viele davon mehrfach. In Deutschland erschienen die meisten seiner Bücher im Heyne Verlag.



KURZMELDUNGEN

Der schottische Cartoonist und Illustrator Tom Gauld hat soeben einen neuen Band mit seinen beliebten Cartoons veröffentlicht. Der Band REVENGE OF THE LIBRARIANS (D&Q bzw. Canongate, 200 S., Hardcover) enthält diesmal ausschließlich Material, das sich mit Büchern, Autoren, Bibliotheken und den heimlichen Herrschern der Welt, den Bibliothekaren, beschäftigt. Wie es zu diesem „Librotopia“ kam, ob so etwas wünschenswert ist, und welche Auswirkungen das Lesen von Cartoons auf die Gute Laune hat, erschließt sich ebenso genüsslich wie gemächlich bei der Lektüre der etwa 200 Bilderstreifen. Nur allzu lautes Lachen sollte unterbleiben – „Sssch“.

Das Weihnachtfest rückt langsam näher, der J. R. R. Tolkien-Fan braucht neuen Stoff zum „unter den Baum legen“ – und Klett-Cotta liefert: Da ist zum einen DER UNTERGANG VON NÚMENOR, ein ganz „neuer“ Band mit den von Brian Sibley herausgegebenen gesammelten Geschichten aus dem „Zweiten Zeitalter“, wunderschön illustriert mit zehn farbigen Bildern und Bleistiftzeichnungen von Alan Lee.  // Alsdann folgt die Neuausgabe von DAS SILMARILLION als aufwändige, von Tolkien selbst illustrierte, großformatige Sonderedition im Schuber. Besonders hervorzuheben ist hier noch der dreiseitige Grünschnitt, verziert mit elbischer Runenschrift. // Und noch was für den „kleinen Geldbeutel“: Nach dem Erfolg mit der 2008 erschienenen einbändigen Ganzleder-Dünndruck-Ausgabe, die ja rasend schnell ausverkauft war, gibt es ab sofort diese „Luxusausgabe“ wieder zu kaufen; diesmal ohne Limitierung und in rotem Leder.

Die Ausgabe 45 der EXODUS ist erschienen, wie immer voller Geschichten und Bilder. Diesmal dabei: In der Galerie der SPACE-ART-Künstler Michael Böhme; 13 neue SF-Stories von Christian Endres, Peter Schattschneider, Angela und Karlheinz Steinmüller uva; illustriert von Mario und Thomas Franke, Michael Vogt und Hubert Schweizer uva; dazu Cartoons und Lyrik. Die gewohnt gute Mischung – diesmal noch zum alten Preis; wie Alles wird auch hier das Heft in Zukunft wohl teurer werden (außer man hat ein Abo!).

Der in Hamburg ansässige Plan 9 Verlag hat sich mit dem SF-Roman LAYLAYLAND von Judith und Christian Vogt ein echtes Prachtstück „geangelt“, nämlich die Fortsetzung des 2019 bei Knaur erschienenen Katastrophenromans WASTELAND! Die Protagonistin Laylay ist mit ihrem todkranken Freund Zeeto und Mtoto, einem virusresistenten Säugling, bei dessen Rettung sich Zeeto mit dem Wasteland-Virus angesteckt hat, auf der Suche nach einem Heilmittel gegen das Virus, das gerade dabei ist, den Rest der bisher überlebenden Menschen auszulöschen. Der Handlungszeitraum erstreckt sich vom 22. März bis zum 10. April 2064 und genauso flott und Holter-di-polter, wie das klingt, ist der Roman auch geschrieben. Erzählt wird die Handlung abwechselnd von Laylay, Zeeto und einer namenlosen Cyborg-Person, die sich den Titel Root 2.0 erkämpft hat. Sprachlich unterscheiden sich die verschiedenen Erzählstimmen aufs Feinste. Der Roman besticht durch sein postapokalyptisches Szenario mit marodierenden Banden, nomadisierenden Familienverbänden und kleinen Siedlungen (in denen die Leute versuchen, in Ruhe und Frieden zu leben). Und natürlich gibt es ein aufstrebendes Reich, das versucht, möglichst viel Gebiet zu beherrschen und möglichst viele Menschen zu versklaven. Soweit nichts aufregend Neues. Spannend ist aber, dass die treibende Kraft in diesem Reich eine Königin ist, die sich ihren Platz durch die Ausübung brutaler körperlichen Gewalt erobert hat. Darüber hinaus spielen sich die Ereignisse auf dem Gebiet des ehemaligen Polens und der ehemaligen BRD ab. Die Kultur der Überlebenden ist ein bunter Schmelztiegel, in dem afrikanische, türkische, mitteleuropäische und anglo-amerikanische Einflüsse zusammengekommen sind. Auch das Spektrum der Einstellungen reicht von ultra-weltoffen über ultra-konservativ bis zu ultra-faschistisch. LAYLAYLAND ist ein spannendes, vielschichtiges Buch voller knallharter Kämpfe auf Leben und Tod, in dem allerdings auch die Szenen, in denen sich eine zarte Liebesgeschichte entwickelt, überzeugen. Sprachlich habe ich lange nichts mehr so Frisches auf Deutsch gelesen, da der Roman auch eine ganze Menge Slang und Wortneuschöpfungen bietet.

Das Beste kommt zuletzt. Auch die Reihe der WELTENSCHÖPFER-Bücher von Charles Platt, die im Memoranda Verlag erschienen ist, macht da keine Ausnahme. Durch die Aufteilung der zwei DREAM MAKERS-Bücher in drei deutsche Ausgaben kam es zu einer Häufung der interessantesten Interviews in DIE WELTENSCHÖPFER – Band 3. Erstmals kommen hier mit Andre Norton, Kit Reed, Joanna Russ, Alice Sheldon (aka James Tiptree jr.) Janet Morris und Joan D. Vinge gleich mehrere Autorinnen ausführlich zu Wort. Hinzu kommen weitere außergewöhnliche Gespräche mit Theodore Sturgeon, Fritz Leiber, Poul Anderson, Harry Harrison, Donald A. Wollheim, Joe Haldeman und Piers Anthony. Bei den Interviews mit Robert Anton Wilson und L. Ron Hubbard beweist Platt erneut, dass er den Blick über den Tellerrand nicht scheut und auch vor einem intensiven persönlichen Einsatz (wie im Fall des Scientology-Gründers Hubbard) nicht zurückscheut. Glanz- und Schlusspunkt ist das Interview mit dem 1982 zwar schon weltberühmten, aber eigentlich noch am Anfang seiner Karriere stehenden Stephen King. Der „Meister des Horrors“ erweist sich als „Meister der Inszenierung“ wie Platt in seinen Nachbemerkungen eindrücklich schildert. Überhaupt muss nochmals darauf hingewiesen werden, dass alle drei WELTENSCHÖPFER-Bände Welterstveröffentlichungen darstellen. Die von Platt als „Historischer Kontext“ bezeichneten Anmerkungen und Erinnerungen erreichen zuweilen einen Umfang, der den Interviewtext verdoppelt. Die hier gewährten Einblicke in das „Allerheiligste“ der Science Fiction sind von unschätzbaren Wert für alle an diesem Genre Interessierten und zudem auch noch unterhaltsam zu lesen! So muss gute Sekundärliteratur aussehen!!



ZITAT

„Die meisten Leute denken, dass ich gruselig wäre, weil ich Horror schreibe“, erzählt uns King. „Wenn sie mich treffen, nehmen sie diese vorsichtige Haltung an, sowas wie ‚Geht es Ihnen gut? Sie werden mich doch jetzt nicht beißen, oder?‘ Oft habe ich das Gefühl, dass ich sie enttäusche, weil ich so sanftmütig aussehe und nicht sehr bedrohlich wirke. Wenn ich doch nur etwas mehr die Anmutung eines Boris Karloff oder Bela Lugosi hätte, oder notfalls eines Christopher Lee!“

Stephen King, in: Charles Platt – DIE WELTENSCHÖPFER, Bd. 3 (S. 306)



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