Puh! Der Frühjahrsausstoß der Verlage hat begonnen und
dermaßen viele „Blüten“ auf meinem Schreibtisch hinterlassen, dass der
Newsletter diesmal wohl mehr einer Auflistung als einer in aller Ruhe
erstellten Lektürereflektion gleichen wird.
Beginnen wir mit Memoranda: Spitzentitel ist diesmal die
von Sylvana Freyberg, Alexandra Dickmann
& Jeawon Nielbock-Yoon herausgegebene Anthologie DIE STERNE LEUCHTEN AM
ERDENHIMMEL, in der sieben Science-Fiction-Kurzgeschichten aus Südkorea
erstmals auf Deutsch erscheinen. Ebenfalls Kurzgeschichten (9 Stück und alle
Erstveröffentlichungen) enthält der Sammelband OKTOBERREVOLUTION 1967 des
russischen Schriftstellers Kir
Bulytschow (1934–2003), den Ivo
Gloss zusammengestellt und kommentiert hat. Und weil die gemeinsame
Werkausgabe von Erik Simon und Angela & Karlheinz Steinmüller noch
nicht unübersichtlich genug ist, bekommt das Projekt nun auch noch
„Extrabände“, deren erster den Titel ESKAPADEN trägt und nicht nur mehrere
Dutzend „Phantasien und Fiktionen“ enthält, sondern auch noch Anmerkungen, eine
Publikationsgeschichte, die man vor dem Inhaltsverzeichnis lesen sollte, und
eine Seite mit „Stimmen zu ESKAPADEN“, die jede weitere Kritik unnötig macht.
Ein gelungenes Frühjahrsprogramm.
Bei Hirnkost geht es ebenfalls weiter: In der Reihe der
„Wiederentdeckten Schätze der Science Fiction“ ist mit Band 6, DAS
MENSCHENSCHLACHTHAUS von Wilhelm Lamszus,
einer der eindringlichsten Anti-Kriegs-Zukunftsromane des deutschen
Kaiserreichs erschienen. Mit STRANDGUT, herausgegeben von Marianne Labisch, veröffentlicht der Verlag erneut eine seiner
hochklassigen Original-Anthologien. Dass es nicht nur im Hier und Heute
Flüchtlinge gibt, sondern überall im Universum und zu allen Zeiten, ist das
Kernthema der Sammlung. Erzählt wird dies von 20 Autor*innen in ihren
phantastischen Kurzgeschichten, bebildert wie gewohnt von Mario Franke und Uli Bendick,
und Michael K. Iwoleit gibt
kenntnisreiche Erläuterungen dazu.
Zu den raren Science-Fiction-Titeln der Hobbit Presse von
Klett-Cotta ist mit NICHTS NEUES VON GURB jetzt ein sehr unterhaltsames
Büchlein hinzugekommen. Der Titel von Eduardo
Mendoza erschien in Spanien bereits 1990, ist aber immer noch „frisch“. Und
im Tropen Verlag (Klett-Cotta) erschien mit nur 4 Jahren Verspätung der neue
Roman von Jonathan Lethem, der den
Titel DER STILLSTAND trägt und von einem gemütlichen Landleben erzählt, nachdem
alle elektronischen Geräte und Maschinen ausgefallen sind.
Bei Atlantis kam jetzt mit leichter Verspätung die
Ausgabe 8 der „phantastischen Comic-Anthologie“ COZMIC heraus. Die gezeichneten
Stories sind u. a. von Michael Vogt, Jan
Hoffmann, Simon Lejeune, Ingo Lohse und
Detlef Klewer. Von Thorsten Hanisch
stammt der Essay über „Battle Angel Alita“. Und das Cover von Ausgabe 9 gibt’s
als Appetizer dazu.
Ebenfalls eine Comic-Anthologie ist das von Lilian Pithan herausgegebene und bei
Carlsen erschienene Hardcover THE FUTURE IS … Insgesamt 14 deutschsprachige
Comic-Zeichnerinnen erzählen hier „14 Comics über die Zukunft“ und zeigen dabei
eine unglaubliche Bandbreite der Ausgestaltung. So wird zumindest die Zukunft
des Comics hierzulande aussehen!
Eine Zusammenarbeit von Jeff Lemire, Matt Kindt (Text)
und David Rubin (Bilder) ist die
bei Skinless Crow erschienene limitierte Graphic Novel COSMIC DETECTIVE. Die
Story erinnert ein wenig an Frank
Millers HARD BOILED und die kosmischen Gottheiten Jack Kirbys, der Zeichenstil allerdings ist unverkennbar David
Rubin. Das Ergebnis ist ein hochdynamisches Drama, dessen Ende ebenso düster
wie offen ist …
Ganz fünf Jahre ist es inzwischen her, dass mit DAS
EWIGKEITSPROJEKT der Erstlingsroman der Österreicherin Carolin Hofstätter erschien. Leider entwickelte sich daraus nicht
die erwartete große Karriere, aber aufgegeben hat Hofstätter das Schreiben auch
nicht. Im Jahr 2023 veröffentlichte sie dann die Roman-Duologie FINDUNGSTAG und
DER ALLERLETZTE TAG, worin sie uns von den Abenteuern ihrer Heldin Evergreen
Ray berichtet, die am Ende des 21. Jahrhunderts in einem utopischen Wien lebt
und davon träumt, Musikerin zu werden. Allerdings erfährt sie an ihrem
„Findungstag“, dass die „Empfehlungen“ der KIs dahin gehen, dass sie mit dem
nächsten Siedlerschiff zum Mars fliegt. Und kein Mensch zweifelt an einer
KI-Empfehlung! Auf den gut 650 Seiten der beiden Romane beweist Hofstätter,
dass ihr die Pause gut getan hat. Die Geschichte ist stimmig, gut durchdacht,
mit tollen Figuren besetzt und spannend bis zur letzten Seite, auf der sich
dann auch zeigt, dass sie den „Dreh“ beherrscht, ein ebenso überraschendes wie
zufriedenstellendes Ende zu schreiben. Großes Kino aus Österreich! (Leider
nicht über den normalen Buchhandel beziehbar.)
Umso leichter erhältlich ist dafür DIE PARABEL DER
TALENTE von Octavia E. Butler, das
soeben bei Heyne erschienen ist. Es handelt sich dabei um die deutsche
Erstveröffentlichung des zweiten „Earthseed“-Bandes, also um die seit
Jahrzehnten erwartete Fortsetzung von DIE PARABEL VOM SÄMANN (Neuausgabe 2023,
Heyne), in der Butler ihrer Zukunftsgeschichte einen versöhnlichen, wenngleich
melancholischen Abschluss verpasst. Noch ein Zweiteiler, den niemand verpassen
sollte.
Ebenfalls rechtzeitig zu Buchmesse und Ostern erschienen
drei neue Bücher im Carcosa Verlag: Das Glanzstück ist sicherlich der erste
Band der Werke von Joanna Russ, der
den Titel IN FERNEN GEFILDEN trägt und der neben den kompletten
„Alyx“-Geschichten zwei wichtige Essays und eine Reihe von Buchbesprechungen
der amerikanischen Autorin enthält. Ergänzend dazu führt ein Nachwort der
Herausgeberin Jeanne Cortiel in
Russ’ Leben und Werk ein. Die Reihe der Bücher von Samuel R. Delany wird mit dem Kurzroman DAS EINSTEIN-VERMÄCHTNIS
fortgesetzt, der von Jakob Schmidt
neu übersetzt wurde. Und in dem Sammelband SCHWELENDE REBELLION erzählt uns Leigh Brackett drei Abenteuer, die
ihren Pulp-Charakter Eric John Stark zum Helden haben. Die Stories erschienen
erstmals zwischen 1949 und 1951 und wurden von Helmut W. Pesch ins Deutsche übersetzt und kommentiert.
Seit dem 8. März – und noch bis zum 31. Juli 2024 – läuft
im Schulmuseum in Lohr-Sendelbach eine Sonderausstellung zum Thema „Bildergeschichten
im Laufe der Jahrzehnte“. Die sehenswerte Ausstellung wurde von Mitgliedern des
Comic-Stammtisches Würzburg-Kist
konzipiert und bestückt. Da es unmöglich ist, für das Comic-Genre eine
Gesamtschau zu verwirklichen, versucht man hier, im vorgegebenen Rahmen, eine
eher grundsätzliche Übersicht zu geben, über die Entwicklung der Comics in
Deutschland zwischen 1890 und 1990. Die mannigfachen Beispiele reichen von
Heften und Büchern über Poster und Figuren bis hin zu Werbematerialien diverser
Lebensmittel- oder Bekleidungshersteller. Näheres unter Schulmuseum (lohr.de) .
„Dies ist die Geschichte einer Reise, die nur
insofern von Interesse ist, als sie von den Taten einer kleinen, grauäugigen
Frau handelt. Kleine Frauen gibt es zur Genüge – und solche mit grauen Augen
auch –, aber diese Frau zählte zu den weisesten eines Geschlechts, das
überdurchschnittlich weise ist. Das ist nicht weiter überraschend (oder sollte
es jedenfalls nicht sein), denn es gehört zum Allgemeinwissen, dass die Frau
eine ganze Viertelstunde vor dem Mann erschaffen wurde und sich diesen Vorteil
bis heute bewahrt hat.“
Joanna
Russ in: IN FERNEN GEFILDEN (S.9)